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Flammen über Arcadion

Flammen über Arcadion

Titel: Flammen über Arcadion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Perplies
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Carya. »Du musst sie abschirmen, damit man den Lichtschein nicht sieht«, erklärte er ihr. Sicherheitshalber stellte Jonan sich zusätzlich noch zwischen Wachturm und Lichtquelle.
    Im schwachen Schein der Kerze machte Pitlit sich an einigen Steinen zwischen den Zinnen zu schaffen. Darunter befand sich ein Hohlraum, aus dem er ein Tau hervorzog, in das in regelmäßigen Abständen Knoten geknüpft waren, um das Klettern zu vereinfachen. Am oberen Ende des Taus befand sich ein Haken, den der Straßenjunge an einer in die Mauer eingeschlagenen Öse befestigte, die sich unter einem unauffälligen Mooskissen verbarg.
    »Ihr habt das gut vorbereitet«, staunte Jonan.
    »Wie ich schon sagte: Wir Straßenjungs klettern ständig über den Wall«, gab Pitlit zurück. »Noch besser wäre es natürlich, wenn wir eine Strickleiter hätten. Aber die ließe sich hier nicht verstecken.«
    Vorsichtig schob Pitlit sich zum Rand des Walls vor. Jonan wusste, dass sie gut fünfzehn Meter in die Tiefe klettern mussten, in eine Finsternis hinein, die schwärzer kaum sein könnte. Um Pitlit machte er sich diesbezüglich keine Sorgen, auch er selbst war während seiner Templerausbildung mehr als ein Tau hinaufgeklettert und wieder hinunter. Nur an Carya mussten sie denken.
    »Wir lassen dich zuerst runter«, sagte Jonan zu ihr. »Halt dich einfach fest, während ich dich ablasse.«
    »Ich kann auch klettern«, entgegnete Carya, wenn auch der Trotz in ihrer Stimme von einem Hauch Unsicherheit gefärbt war.
    »Das mag sein, Carya, aber wenn du abstürzt und dir ein Bein brichst, ist unsere Flucht vorbei, bevor sie richtig begonnen hat. Die Inquisition erwischt uns, und unser Leben endet auf dem Richtblock. Du weißt, was das bedeutet.«
    »Vielleicht hat sie Glück und fällt aus so großer Höhe, dass sie sofort tot ist«, warf Pitlit ein.
    Carya seufzte. »Jetzt hört schon auf. Ist ja gut. Ich lasse mich abseilen.«
    Fünf Minuten später wünschte Carya sich, sie hätte dem nicht zugestimmt. Ihren Beutel im einen Arm und den anderen um das Tau geschlungen, saß sie in einer improvisierten Sitzschlinge und wartete darauf, dass ihr quälend langsamer und beunruhigend ruckelnder Abstieg endlich ein Ende fand. Mit den Füßen hielt sie Abstand zu der Wand, die sie nicht sehen konnte. Unter ihr gähnte ein schwarzer Abgrund, der bodenlos hätte sein können. Glücklicherweise musste sie nur den Blick nach links, in Richtung des Wachturms, wenden, um im Schein des Wachfeuers zu sehen, dass der Wall durchaus ein unteres Ende besaß und dass es nicht mehr fern sein konnte.
    Wenn ich angekommen bin, werde ich zum ersten Mal überhaupt meinen Fuß in die Wildnis setzen , dachte sie. Ihr kamen die Nachmittage mit Rajael in den Sinn, an denen sie am Pinciohügel auf dem Aureuswall gesessen und ins Land hinausgeschaut hatten. Der Schauder, den der ferne Anblick in ihr erzeugt hatte, war ein gänzlich anderer gewesen, als der, den sie im Moment verspürte. Jetzt war sie keine unbeteiligte Beobachterin mehr, die aus beinahe göttlicher Perspektive auf das Leben – oder vielmehr den unheimlichen Mangel an Leben – zwischen den Ruinen schaute. Plötzlich befand sie sich mitten drin.
    Ihr Fuß berührte die Erde, und sie zog, wie verabredet, zweimal am Seil, um anzuzeigen, dass sie sicher unten angekommen war. Über ihr konnte man ein Schaben von Leder auf Stein hören, dann tanzte das Seil in ihren Händen, als jemand rasch daran herunterkletterte.
    Gleich darauf sprang Pitlit neben ihr zu Boden. Jonan schloss sich ihnen eine Minute später an. »Ich habe das Loch wieder verschlossen und das obere Seilende so gut wir möglich getarnt, aber es besteht leider trotzdem die Gefahr, dass es entdeckt wird.«
    »Normalerweise gibt es auf den Wehrgängen nur wenig Patrouillen«, sagte Pitlit. »Seit ich diesen Weg benutze, haben wir nur einmal ein Tau verloren, weil irgendein Wachmann zu eifrig war.«
    »Und was habt ihr da gemacht?«, wollte Carya wissen.
    »Die, die draußen waren, haben dumm geschaut und mussten sich durchs Westtor in die Stadt zurückschleichen«, erklärte der Straßenjunge. »Das ist nicht so schwierig, wie man denkt. Viele Kinder müssen sich draußen auf den Feldern etwas Geld verdienen. Also sind die Ausgesperrten einfach nachmittags mit den Arbeitern wieder reingekommen. Natürlich mussten wir die Stelle danach zwei Monate lang meiden, bis sich niemand mehr darum geschert hat. Und anschließend haben wir weitergemacht wie

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