Flammen um Mitternacht
Wahrheit auf den Kopf“, rief Locke empört. „Wir sind Zeugen, daß es sich
anders verhält. Sie, Petra Fiedler, haben Mustafa regelrecht verfolgt und sich
ihm an den Hals geworden, wie es peinlicher nicht sein kann. Aber er will
nichts von Ihnen wissen. Ist das jetzt Ihre Rache? Setzen Sie Lügen in die
Welt, damit dieses Gesindel, dieses verbrecherische Gesindel hier — Mustafa und
Üsküd zum Freiwild erklärt, mit dem man verfahren kann wie mit tollwütigen
Hunden. Sie sind ja nicht normal, Petra Fiedler! Sie gehören unter ärztliche
Aufsicht.“
Petra
Fiedler glotzte. Eine Hand fummelte am Ohr. Ihr Mund stand offen. Dummheit
leuchtete ihr aus den Augen. Oder war sie vielleicht auf gewisse Weise schlau.
„Ich könnte
mir denken“, fuhr Locke fort, „Sie selbst, ja Sie selbst!, haben sich den
Ohrring abgerissen. Haben ihn weggeworfen und sind dann hierher gekommen, um
die Burschen aufzustacheln. Sicherlich haben Sie gewußt, daß hier die richtigen
Typen versammelt sind.“
„Nein, nein,
nein!“ Petra Fiedler verfiel wieder ins Kreischen. „Sie sind hinter mir her,
die Türken. Sie verfolgen mich mit ihren schmutzigen Gedanken und ihren
schmutzigen Worten. Alle Türken. Alle! Und besonders Mustafa Göksun und sein
Freund Üsküd Bursa.“
„Sie
behaupten“, sagte Tom, „Üsküd hätte Sie im stockfinsteren Torweg überfallen.
Stockfinster, aha! Wie haben Sie ihn da erkannt?“
„Ich habe
ihn erkannt“, schrie sie.
Tom nickte.
„Alles klar.“
Locke
betrachtete die Burschen an der Theke. Tatsächlich! Die meisten hatten den
Blick gesenkt. Sowas wie Beschämung stand in den Gesichtern. Begriffen sie also
doch, daß diese Petra Fiedler nicht zurechnungsfähig war? Sie hatten sich
aufhetzen lassen, sie waren reingefallen auf ihre Lüge, sie hatten begeistert
zugestimmt, als es darum ging, den jungen Türken zu lynchen. Aber jetzt?
„Ich
gratuliere Ihnen zu Ihrer Heldentat“, sagte Locke, an die Männer gewandt. „Sie
haben zugesehen, als ein Unschuldiger verbrannt werden sollte. Sie haben
gegrölt und gejohlt, angestachelt und Ihren Spaß gehabt. Petra Fiedlers
Beschuldigung ist eine Lüge. Aber Sie alle — Sie sind schlimmer als Petra
Fiedler. Sie hätten merken müssen, was ihre Behauptung wert ist. Aber nein, es
war ja so unterhaltsam, einen Türken zu lynchen. Nur einen Türken, von dem man
ohnehin nicht viel hält.“
Niemand
antwortete. Niemand verteidigte sich.
Die Polizei
traf ein, die Besatzung eines Streifenwagens. Als die Beamten die Lage
überblickten, forderten sie Verstärkung an.
Die drei
Schläger wurden festgenommen. Tom erklärte einem Zivilbeamten, der zur
Verstärkung gehörte, um wen es sich bei Fromm und Eckert handelte. Das
bedeutete, daß auch für diese beiden die Freiheit endete.
Als Tom
Fromms Pistole aushändigte, kam es zur großen Überraschung.
Der Polizist
betrachtete sie. Verblüffung malte sich auf sein Gesicht.
„Das ist
eine ganz seltene Waffe“, sagte er, „eine spanische vom Kaliber 9 Millimeter.
Nach genau diesem Modell fahnden wir seit Monaten. Es gibt da nämlich zwei
ungeklärte Mordfälle — an illegalen Bauarbeitern, einem Jugoslawen und einem
Türken. Beide wurden mit so einer Waffe erschossen.“
Locke und
Tom entsannen sich, daß Gunter diese Morde erwähnt hatte, als er im
Kreuderschen Landhaus über die Menschenhändler und ihre Arbeitssklaven
berichtete.
Fromm war
wieder bei Bewußtsein. Er hörte, was der Kripomann sagte und wurde grau im
Gesicht. Wußte er doch, daß es ein Kinderspiel ist, im kriminaltechnischen
Labor festzustellen, ob die tödlichen Schüsse mit dieser Waffe abgegeben
wurden.
„Ich...
ich...“, stammelte er, „wollte es... nicht tun. Aber... Honold gab mir den
Auftrag.“
Der
Kripobeamte machte ein Gesicht, als wäre ihm das Christkind erschienen.
„Sie...
haben... die beiden erschossen?“
Fromm schloß
die Augen. Dort, wo Tom ihn getroffen hatte, war sein Kiefer blutunterlaufen.
„Eckert war
auch dabei“, sagte er gehässig. „Den Jugoslawen hat er festgehalten. Der wehrte
sich wie wild.“
„Handschellen!“
sagte der Kripobeamte zu seinen Leuten. „Legt ihnen Handschellen an.“
Die
Protokolle waren geschrieben. Der Arzt hatte Üsküd versorgt. Die Schläger und
vor allem Eckert und Fromm befanden sich hinter Schloß und Riegel. Mustafa
meinte, man könne endlich zum gemütlichen Teil des Abends übergehen. Er lud
Locke und Tom zu sich ein, zu süßem Gebäck und türkischem Kaffee.
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