Flammenbrut
Flasche Whisky stand zwischen ihnen. Kate hielt ein Glas in beiden Händen. Sie hatte noch keinen Schluck getrunken.
«Aber die Polizei ist sich sicher?», fragte Lucy. «Ich meine, es scheint so … so …» Sie senkte den Kopf und sprach nicht weiter.
«Sie sagen, jeder Zweifel sei ausgeschlossen.»
«Aber wie können sie sich sicher sein, dass er ihn getötet hat? Ich meine, den Psychologen? Nach allem, was sie wissen, könnte
es – ich weiß nicht – ein Einbrecher gewesen sein oder sonst irgendjemand. Es muss nicht zwangsläufig Alex gewesen sein.»
«Ellis», sagte Kate, ohne den Blick von den Flammen abzuwenden. «Sein Name ist Timothy Ellis.»
Lucy erwiderte nichts darauf. Jack saß neben ihr und blickte mit grimmigem Gesicht auf seinen Schoß.
|252| «Kein Wunder, dass er so jung aussah», meinte Lucy nach einer Weile. «Sechsundzwanzig! Ich meine, was ich einfach nicht fasse,
ist die Frechheit, die der Kerl aufgebracht hat!»
«Ich glaube, dass ‹Frechheit› nichts damit zu tun hat», bemerkte Jack.
«Nein, ich weiß, aber … Na ja, er schien mir einfach so
nett
.» Lucy schüttelte den Kopf. «Aber wenn man jetzt so zurückblickt, sieht man natürlich, dass da einiges nicht gestimmt hat,
oder? Ich fand ihn immer etwas scheu für einen Psychologen. Und wenn man darüber nachdenkt, war es auch ziemlich merkwürdig,
dass er dir nie seine Wohnung gezeigt hat.»
Kate hätte sie am liebsten angeschrien, dass sie den Mund halten sollte.
«Wenigstens hat er sich nicht auf deine Kosten bereichern können», fuhr Lucy ohne Rücksicht fort. «Ich wette, er war stocksauer,
als er gemerkt hat, dass er deine Schecks nicht einlösen kann. Da fragt man sich schon, wie er sich all diese Fahrten nach
Birmingham und den ganzen Rest leisten konnte, was? Ich meine, für eine Teilzeitarbeit bei einem Drucker bekommt man doch
sicher nicht viel, oder?»
Diese Überlegung war in Kates Augen jetzt völlig irrelevant. Sie musste sich zu einer Antwort zwingen. «Die Polizei hat in
seinem Zimmer ein Pappschild mit der Aufschrift ‹Birmingham› gefunden. Sie glauben, er ist getrampt.»
Lucy quittierte diese Information mit einem neuerlichen Kopfschütteln. «Tja, dafür, dass er angeblich geisteskrank ist, hat
er sich die Sache wunderbar ausgedacht, das muss man ihm lassen.» Sie sah Kate an. «Aber was wirst du jetzt tun?»
|253| «Lucy, Herrgott, ich weiß es nicht. Ich kann im Augenblick ja nicht einmal klar denken. Ich fühle mich nur …» Die Anstrengung, ihre Enttäuschung in Worte zu fassen, war zu viel für sie.
«Ich weiß, aber du musst früher oder später eine Entscheidung treffen», beharrte Lucy. «Wegen des Babys, meine ich.»
«Lucy …», warnte Jack.
«Na ja, ich habe doch recht.»
«Was denn für eine Entscheidung wegen des Babys?», fragte Kate.
«Ob du es behalten willst oder nicht.»
Das Knistern des Feuers wurde lauter und vermischte sich mit dem Rauschen des Blutes in ihren Ohren. Das Zimmer neigte sich,
als wäre der Fußboden nicht mehr stabil. Kate stellte ihr Glas auf den Couchtisch und umfasste mit beiden Händen die Sessellehnen,
ihr wurde mit einem Mal speiübel. Die Stimmen von Lucy und Jack prasselten unaufhörlich weiter auf sie ein.
«Um Himmels willen, Lucy!»
«Na ja, sie muss doch den Tatsachen ins Auge sehen!»
«Mein Gott, lass sie doch erst mal zu Atem kommen! Sie hatte wahrhaftig genug Schocks für einen einzigen Tag!»
Plötzlich registrierte Kate, dass Jack vor ihr kniete und ihr das Whiskyglas an die Lippen hielt. Sie konnte den Alkohol riechen,
und einen Augenblick lang stieg die Woge der Übelkeit noch höher. Dann ebbte sie wieder ab. Kate schob das Glas weg, ohne
zu trinken.
Jack stellte es wieder auf den Couchtisch und kehrte zu seinem Platz zurück. «Alles in Ordnung mit dir?»
Kate nickte. Aber das war eine Lüge. Sie fühlte sich schwach, als erhole sie sich mühsam von einer Krankheit.
|254| «Hör mal, warum gehst du nicht morgen zu einem Arzt?», fragte Lucy.
«Ich will keine Tranquilizer.»
«Das meinte ich auch nicht. Ich dachte nur, du solltest vielleicht mal mit jemandem reden. Dir den Rat eines Experten holen.»
«Weswegen?»
Kate sah, dass Jack seiner Frau einen ungläubigen Blick zuwarf. Lucy ignorierte ihn.
«Du weißt, weswegen. Es tut mir leid, Kate, aber ich glaube, du musst akzeptieren, dass der Gedanke an eine Abtreibung eine
ernsthafte Überlegung wert ist.»
«Verflucht nochmal!
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