Flammenbucht
sprang auf die aufragenden Eisenbolzen, richtete den glühenden Stab auf das Tor. Funken stoben herab.
»Du hast dem Weltenschmied lange genug gedient«, stieß er hervor. »Nun erlöse ich dich von diesem Fluch!« Um ihn das wüste Tosen der Silberdrähte; und ein weiteres Geräusch: das Knirschen eines Schlüssels, der sich in einem Schloß wand. Jemand war dabei, die eiserne Tür im hinteren Teil der Höhle zu öffnen! Panisch zeichnete der Eindringling das Symbol einer Sichel über das Tor.
»Ich verschließe dich«, schrie er, »ich verschließe dich in Mondschlunds Namen! Niemand soll dich mehr öffnen, niemand mehr deine Kraft benutzen!«
Der Mißklang der Drähte war ohrenbetäubend, hallte schmerzhaft in seinem Schädel. Der Mann taumelte, stürzte auf das Tor herab, das von glühenden Funken bedeckt war.
»Ich verschließe dich«, wiederholte er, »in Mondschlunds Namen. Verstumme endlich… VERSTUMME!« Dann wurde sein Kopf zur Seite gerissen. Ein Wurfmesser hatte ihn zwischen Nacken und Schulter getroffen. Blut benetzte die Kutte, tropfte auf das eiserne Tor. Zitternd tastete der Sterbende nach der Wunde; seine Hand, kraftlos nun, versuchte vergeblich, das Messer herauszuziehen, doch der Handschuh glitt an der Klinge ab. Blut tränkte das goldene Mondemblem, färbte es schwarz.
»Und Mondschlund… schweigt…«, wisperte der Mann.
Dann bohrte sich ein weiteres Messer in seine Kehle, zerschnitt seine Worte. Der goldene Stab entglitt seinen Fingern und verglühte. Über ihm kehrte wieder Ruhe in der Höhle ein; ihr Zorn war gemildert. Der Eindringling war besiegt, und das Tor zur Ewigen Glut konnte weiterschlummern bis zu dem Tag, an dem sich die Prophezeiung des Heiligen Spektakels erfüllen würde.
Darsayn schlug den Schleier zurück, der von der Decke herabhing. Der sanfte Stoff floh vor seiner Hand, und Darsayn durchschritt den aufwärtsführenden Gang, Schleier um Schleier beiseite schlagend. Unruhig umwehten die Tücher sein Haupt.
Darsayn war ein älterer Mann; sein Haar schlohweiß, das Gesicht wie aus gelbem Wachs gefertigt. Die Augen waren von wäßriger Färbung, wirkten entzündet. Er trug ein einfaches Leinenhemd und auf dem Kopf eine Haube, die aus Flicken zusammengesteckt war. Sie war das Zeichen seiner Macht, denn er war der Haubenträger, Darsayn der Erhabene, das Oberhaupt des Ordens vom Heiligen Spektakel.
Bald hatte er das Ende des Ganges erreicht. Hinter dem letzten Schleier erkannte er ein Bett, das an der Felsenwand aufgestellt war. Es wurde von mehreren Fackeln beleuchtet, die in eisernen Ringen an der Wand steckten. Auf dem Bett saß ein Junge in einem Nachtgewand, ungefähr zwölf Jahre alt. Das ungeschnittene kastanienbraune Haar fiel bis auf seine Schultern herab. Sein Gesicht war nicht zu erkennen; es verschwand unter einer Maske, einem wirren Geflecht goldener Stäbe, hauchdünner Plättchen und scharfer Sporne, die auf komplizierte Weise miteinander verbunden waren. Manche Teile waren in Bewegung, zuckten und wanden sich wie geschlüpfte Insekten; ein faszinierender und zugleich schrecklicher Anblick.
Der Haubenträger schlug den letzten Schleier beiseite.
»Ich grüße dich, Laghanos.« Er verneigte sich vor dem Kind. »Wie ich sehe, bist du erwacht. Vor einigen Stunden war ich schon einmal bei dir, doch ich fand dich in einem tiefen Schlaf und wagte nicht, dich aufzuwecken.«
Laghanos blickte zu dem alten Mann auf. Seine braunen Augen, die zwischen den Dornen der Maske zu erkennen waren, wirkten müde. »Habe ich geschlafen?«
»Das hast du, und dein Schlaf wirkte friedlich. Du hattest keine Alpträume in dieser Nacht, nicht wahr?« Laghanos schüttelte den Kopf.
Darsayn setzte sich zu ihm auf das Bett. Er ergriff das Handgelenk des Jungen, fühlte den Schlag des Herzens, legte die Hand auf Laghanos' Stirn. Schließlich strich er ihm über das Haar. »Ja, es geht dir besser, viel besser. Du hast kein Fieber mehr, und die Entzündung in deinem Hals ist ausgeheilt. Unsere Bemühungen haben sich gelohnt!« Er rückte sich die Flickenhaube zurecht. »Du bist nun schon seit zehn Tagen in den Kammern des Heiligen Spektakels. Die Nachricht von deiner Ankunft hat sich unter den Angehörigen des Ordens verbreitet, unter Beschlagenen wie Unbeschlagenen. Sie alle sehnen den Tag herbei, an dem sie dich kennenlernen, an dem du das Krankenbett verläßt und jene begrüßt, die zeit ihres Lebens auf dich gewartet haben.« Laghanos gab keine Antwort. Darsayns Worte erschienen
Weitere Kostenlose Bücher