Flammende Sehnsucht
aber musste sie derart verliebt sein? Schließlich waren Delia und St. Stephens seit fast einem Jahr verheiratet. Eigentlich - zum Teil wenigstens - waren sie ja hier, um Cassies Anstandswauwaus zu spielen, aber die sehnsüchtigen, verlangenden und verbotenen Blicke, die sie ständig miteinander tauschten, waren ganz und gar nicht schicklich - wenn Cassie sich auch eingestand, dass ihre Reaktion möglicherweise nichts als Eifersucht war. Schließlich war Delia, anders als ihre Schwester, nie aufs Heiraten erpicht gewesen, und war nun dennoch verheiratet, verliebt und überglücklich.
Während ihre Zwillingsschwester vierundzwanzig Jahre zählte und - ohne echte Aussicht - allmählich dem Status einer alten Jungfer gefährlich nahe kam.
Cassie entfernte sich noch einige Schritte und ignorierte das perlende Lachen ihrer Schwester ebenso wie den interessanten Gedanken, von welchem Einsatz genau St. Stephens
da wohl gesprochen hatte. So ungern Cassie es zugab, sie war wirklich eifersüchtig. Oh, nie hätte sie sich etwas gewünscht, das Delias Glück Abbruch tat. Sie wollte nur einfach dasselbe haben. Wenn es im Augenblick auch keine Aussicht darauf gab.
Vielleicht wurde es Zeit, ihre Ansprüche zu senken.
Müßig musterte Cassie die Menschenansammlung, die sich auf einer Erhebung oberhalb der Straße eingefunden hatte. Die Leute schwatzten aufgeregt und voller Vorfreude und reckten die Köpfe, um möglichst den ersten Blick auf die Reiter zu erhaschen. Es war eine interessante Versammlung der jüngeren Mitglieder der eleganten Gesellschaft - genauer gesprochen, ein Kreis, der als recht leichtlebig galt.
Dennoch, die Mehrheit der Anwesenden waren verheiratete Paare, die augenscheinlich für die noch Unverheirateten unter ihnen als Anstandspersonal fungierten. Alles ging sehr gesittet zu, auch wenn nirgends eine ältere, missbilligende Matrone zu entdecken war und daher ein leichter, aber nicht zu leugnender Hauch von Freiheit und Abenteuer in der Luft lag.
Das Rennen und die Wette zwischen Christian und Lord Berkley waren während der vorausgegangenen vierzehn Tage fast zum Hauptgesprächsthema geworden. So weit jedenfalls, dass Lord Warren sowohl die Endausscheidung als auch einen festlichen Ausflug auf seinen Herrensitz am Stadtrand von London ausrichtete. Zu dieser Veranstaltung hatte seine Lordschaft ganz ausdrücklich auch Cassie eingeladen - die übrigens nie vorgehabt hatte, sie sich entgehen zu lassen.
Ihr Blick wanderte zu Lord Warren, der sich mit einer kleinen Gruppe plaudernd unterhielt und offenbar jede der anwesenden Damen mit seinem Charme umgarnte. Sie konnte nicht umhin, sich zu fragen, wie viele dieser Damen ebenfalls persönliche Einladungen erhalten hatten. Der Mann war ja zweifellos attraktiv, er besaß einen hervorragenden Titel und ein ansehnliches Vermögen. Dazu war er geistreich und schneidig und bekannt für seine Exzesse in allen Lebensbereichen, einschließlich Frauengeschichten. Ganz und gar nicht nach Cassies Geschmack. Lord Warren mochte sich zwar für sie interessieren, sie aber hatte nicht das geringste Interesse an ihm. Schade eigentlich. Er war eine ausgezeichnete Partie.
»Vielleicht wird es Zeit, dass du deine Ansprüche ein wenig herunterschraubst«, ertönte die ironische Stimme ihres ältesten Bruders Leo hinter ihr.
»Eben habe ich dasselbe gedacht, wenn ich auch glaube, dass ausgerechnet du in solchen Dingen lieber keine Ratschläge erteilen solltest«, meinte Cassie milde und wandte sich ihrem Bruder zu. »Du stürzt dich doch auch nicht gerade Hals über Kopf in Richtung Traualtar.«
Leopold Effington lächelte mit jenem einnehmenden Lächeln auf sie herab, mit dem er schon unzähligen jungen Damen den Kopf verdreht hatte, von denen ihn allerdings keine gleichermaßen einzunehmen verstand. »Meine Ansprüche sind offenbar ebenso hoch wie deine.«
»Eigentlich schade, nicht wahr? Man sollte doch meinen, dass es inzwischen wenigstens einer von uns zweien in den Hafen der Ehe geschafft haben sollte.« Cassie sah zu ihrer Schwester und St. Stephens. »Zumindest Delia hat ihr Glück gefunden.«
»Die hat es auch verdient.« Leo bot ihr seinen Arm, und Cassie hakte sich bei ihm unter. Eine Weile spazierten die
Geschwister ziellos umher. »Vielleicht haben wir noch nicht genug gelitten, um so viel Glück zu verdienen?«
Cassie sah zu ihm auf und bemerkte erleichtert das schalkhafte Zwinkern in seinen Augen. »Es wäre mir ein Vergnügen, dir mit einem wohlplazierten
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