Flammende Versuchung
beschämte Gesicht ihres Vaters entstand schemenhaft in ihrer Erinnerung. Sie ist nicht grausam. Sie will einfach nur, dass du lernst, eine echte Dame zu sein, so wie sie. Du schaffst das, Dee. Versuch einfach nur, sie nicht zornig zu machen.
Hatte er es zu diesem Zeitpunkt bereits gewusst? Hatte er endlich erkannt, was er da in ihr friedliches, liebevolles Heim gebracht hatte?
Was machte das jetzt für einen Unterschied? Es hatte keinen Sinn, in der Vergangenheit zu leben. Ihr Vater war lange schon tot und hatte sie mit Tessa zurückgelassen, was sie ihm wahrscheinlich niemals würde verzeihen können.
Sie seufzte. Er hatte gedacht, er täte ihr etwas Gutes. Er hatte gewünscht, dass sie ihrem Schicksal gemäß das Pickering-Erbe antreten würde, und so hatte er sich größte Mühe gegeben, eine neue Mutter für sie zu finden, die ihr alles beibringen konnte, was sie dafür können musste. Er war von Tessas Jugend und Schönheit geblendet gewesen und hatte irgendwie nie etwas von ihrem vipernhaften Wesen gehört – obgleich das mit Sicherheit
der Grund dafür war, dass eine derart gutsituierte junge Dame in ihrem Alter noch unverheiratet geblieben war.
Tessa hatte Papa getötet. Diese Tatsache war in Deirdres Herz wie in kalten Stein gemeißelt. Ihre Stiefmutter hatte ihrem Vater nicht mit einem Messer den Garaus gemacht oder ihm Gift in den Portwein gemischt, aber sie hätte es ebenso gut tun können. Tessa und ihre luxuriösen Wünsche waren es gewesen, die Papas Reichtum wie ein hübscher schwarzhaariger, grünäugiger Parasit ausgetrocknet hatten.
Papa war zu sehr mit Tessas Dekolleté beschäftigt gewesen, um es rechtzeitig zu merken. Als ihm schließlich aufging, in welche Richtung sich seine Finanzen entwickelt hatten, war es bereits viel zu spät. Er war über Nacht gealtert, ein gebrochener, vertrockneter alter Mann, ausgesogen von Tessas Gier wie von einem fiesen Blutegel.
Dann war er gestorben. Sein gebrochenes Herz hatte mitten im Streit mit seiner uneinsichtigen Ehefrau aufgehört zu schlagen. Der finanzielle Ruin und die Verzweiflung hatten ihm seine Kraft geraubt.
Ohne die Gegenwart ihres gutherzigen Ehemanns, die sie immer ein wenig zurückgehalten hatte, war Tessa dann in der Lage, ihre ungebremste Boshaftigkeit auf die junge Deirdre und die Dienerschaft von Woolton loszulassen.
Auf Wiedersehen, Tessa.
Willkommen, Brookhaven.
Deirdre öffnete die Augen und ließ ihren Blick quer durchs Zimmer streifen, wo eine zweite Tür diskret in
die Wandvertäfelung eingelassen war. Die Gemächer ihrer Ladyschaft lagen Tür an Tür mit denen seiner Lordschaft.
Sie stand auf und durchquerte eilig den Raum, drehte rasch entschlossen den Schlüssel im Schloss. Keine Freiheit? Dann auch keine Hochzeitsnacht! Als sie so dastand, ertönte ein Klopfen an ihrer Tür. Sie zog den großen Schlüssel aus dem Schloss und steckte ihn sich in den Ausschnitt. »Ja, bitte?«
Patricia trat ein. Deirdre hatte ihre Cousine um die hübsche Zofe beneidet, denn Patricia hatte ein Talent für Frisuren und war ein absolutes Genie, wenn es um Hauben ging.
Wie sich herausstellte, hatte sie auch ein liebes Wesen, denn sie setzte einfach nur freundlich lächelnd das Tablett ab. »Kann ich sonst noch etwas für Euch tun, Mylady?«
Ach, ja. Das hatte sie ja glatt vergessen. Sie war die Marquise von Brookhaven – sie besaß alles außer der Gewalt über ihr eigenes Leben.
»Im Augenblick möchte ich keinen Tee, Patricia.« Der Geruch würde ihr nur den Magen umdrehen, solange sie so aufgeregt war. »Vielleicht … vielleicht später noch ein heißes Bad?« Sie sehnte sich danach, die Ereignisse dieses Tages einfach abzuwaschen … und dieses verdammt schöne Brautkleid auszuziehen, aber im Augenblick musste sie nachdenken.
Patricia knickste nur, nahm das Tablett wieder auf, verließ das Zimmer und bescherte Deirdre so einige kostbare Sekunden, bevor der Zorn wieder in ihr aufflammte.
Wenn das Schlimmstmögliche passierte – wenn Brookhaven sein tyrannisches Verhalten fortsetzte – wenn sich herausstellte, dass sie den Fehler ihres Lebens gemacht hatte -
Dann konnte sie ihn einfach verlassen.
Nein.
Oh, doch.
Du willst ihn nicht verlassen. Du bist jetzt nur wütend.
Oh, »wütend« traf es nicht halb.
Wenn du ihn verlässt, wie willst du ihn dann jemals dazu bringen, deine Liebe zu erwidern?
Ihr Rücken wurde ganz steif. Sie würde nicht bleiben, wenn er sie nicht liebte, und sie würde niemals irgendwen um seine
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