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Flammender Himmel

Titel: Flammender Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Maxwell
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eine große Scheibe, unregelmäßig geformt, aber dennoch von einer eigenartigen Grazie. Sie führte den Schneider sicher und geschickt; die langen Jahre der Erfahrung zeigten sich in jedem eleganten Schwung, in jeder Kurvung.
    Nach einer Weile legte Angel eine Sperrholzplatte über die beleuchtete Tischplatte. Dann ging sie zum Bleizieher, einer einfachen Vorrichtung, bei der das eine Ende eines weichen, h-förmigen Bleistrangs in eine Halterung geklemmt wurde, so daß man ihn langziehen konnte. Angel achtete dabei sorgfältig darauf, daß keine Unebenheiten oder Knicks entstanden. Sie zog den Strang so dünn wie möglich aus, aber doch noch stark genug, um dem fertigen Glasbild später genügend Stabilität zu verleihen.
    Anschließend begann sie, die Glasstücke zusammenzufügen. Sie fing an der rechten unteren Seite des Rahmens an. Bis der nächste Bleistrang gelegt war, wurden die Glasstücke mit Hufnägeln befestigt.
    Angel polierte jedes einzelne Glasstück, bis es nur so blitzte und funkelte. Scherbe für Scherbe, Farbe für Farbe formte sich zu einem zerbrechlichen Puzzle, das von dünnen Bleisträngen zusammengehalten wurde.
    Angel arbeitete ohne Unterlaß die ganze Nacht hindurch. Sie hielt nur dann kurz inne, wenn ihr die Tränen überraschend in die Augen schossen - der farblose Ausfluß einer Wunde, die viel zu frisch und zu tief war, als daß sie schnell verheilt wäre.
    Sie war sich ihrer Tränen jedoch kaum bewußt, außer daß sie die funkelnden Glassplitter vor ihrem Blick verschwimmen ließen, die sich unter ihren Händen wieder zu einem Ganzen zusammenfügten. Die Scherben der Vergangenheit formten sich zu einem neuen Muster, Schönheit, wo zuvor nur Zerstörung und Verlust gewesen war, Krankes, das wieder geheilt wurde.
    Ebenholzschwarze Nacht ging in zinngraue Dämmerung über. Leuchtendes Rot durchflutete das Studio. Angel bemerkte das Licht jedoch ebensowenig wie die Tatsache, daß ihre Rücken- und Nackenmuskeln brannten, oder die dunklen, nassen Flecken an den Schultern ihres Jeanshemds, wo sie die Tränen achtlos abgewischt hatte. Alles, was sie sah, war das Puzzle, das sie soeben fertiggestellt hatte.
    Sie mischte den Zement zusammen, der dem Bild den letzten Schliff geben würde, ihre letzte Garantie dafür, daß ihr Werk nicht in einer Stunde oder in einem Jahr wieder zerfiel.
    Mit einem harten Pinsel strich Angel den dickflüssigen Zement über beide Seiten des fertigen Buntglasbildes, so daß auch die letzten Lücken zwischen Glas, Bleibett und Rahmen ausgefüllt wurden. Anschließend streute sie Sägemehl, das den überschüssigen Zement aufsaugen sollte, über die fertigen Oberflächen. Dann nahm sie, bevor der Zement trocknen konnte, einen Holzstift und fuhr damit über jede einzelne Glas-Blei-Verbindung, damit die Linien ihrer Kreation ebenso glatt und sauber wurden wie das Glas selbst.
    Leuchtendes Rot ging in funkelndes Gold über, während die Sonne langsam den Horizont erklomm. Angel nahm nichts davon wahr. Kein Geräusch durchbrach die Stille, nur das leise Quietschen von Holz auf Glas, bis Derry schließlich in der Tür auftauchte und sich den Schlaf aus den Augen rieb.
    »Angie? Was ist denn los ? Warum bist du nicht draußen beim Angeln?«

15. Kapitel
    Angel blickte überrascht auf. Sie hatte gar nicht gemerkt, daß schon so viele Augenblicke vergangen waren.
    Es war Morgen.
    Ihre Anspannung ließ ein wenig nach. Die erste Nacht war immer am schlimmsten.
    Sie blinzelte langsam, als sie den Blick zum ersten Mal seit Stunden auf etwas richtete, das weiter entfernt war als ihr Arbeitstisch.
    Derry kam lässig hereingehumpelt.
    »Angie? Wie lange arbeitest du schon?«
    »Eine Weile«, erwiderte sie ausweichend und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihr Glasbild. »Ich bin fast fertig.«
    Eigentlich war sie schon seit einer Stunde fertig. Sie benutzte den Holzkratzer nur noch, um an den Linien ihrer Kreation entlangzufahren. Sie genoß die Farben und Formen, die Vollkommenheit des Ganzen.
    Derry runzelte die Stirn. »Du mußt die ganze Nacht dran gearbeitet haben.«
    Sie stieß einen unbestimmten Laut aus.
    »Angie?«
    Angel seufzte und legte den Holzkratzer beiseite. Sie wußte, daß sie seiner Frage nicht länger ausweichen konnte.
    »Ja, ich habe die ganze Nacht durchgearbeitet.«
    »Das hast du schon lange nicht mehr getan.«
    »Ja.«
    »Angie«, sagte Derry sanft, »was ist los? Liegt’s daran, daß letzte Nacht die Nacht war, in der der Unfall passiert ist? Vor

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