Flammendes Eis
rief Juri. »Ich habe von diesem Baby gehört, es aber noch nie zuvor gesehen.«
»Das nenne ich eine Luxusjacht«, sagte Paul bewundernd.
»Sie gehört Razow, dem Chef von Ataman. Es heißt, er wohne auf dem Schiff und leite seine Geschäfte von dort.« Juri gab wieder mehr Gas. Gamay nahm ihren Fotoapparat und schoss einige Aufnahmen.
»Können wir mal auf die andere Seite rüberfahren?«, bat sie.
Juri fuhr einen weiten Bogen und brachte sie hinter das Schiff.
Gamay hob erneut die Kamera und wollte soeben per Knopfdruck auf Weitwinkel umschalten, als sie an Deck eine Bewegung wahrnahm. Eine Person kam in Sicht. Gamay fuhr den Zoom bis auf volle Brennweite aus. »Mein Gott!«, rief sie erschrocken.
»Was ist los?«, fragte Paul.
Sie gab ihm den Apparat. »Sieh selbst.«
Paul suchte das ganze Deck ab, konnte aber nichts Besonderes entdecken.
»Das Deck ist jetzt leer. Was hast du gesehen?«
Gamay geriet selten aus der Fassung, doch diesmal konnte sie ein Schaudern nicht unterdrücken. »Einen großen Mann mit langem schwarzen Haar und Vollbart. Er hat mich direkt angestarrt. Es war eines der beängstigendsten Gesichter, die ich je gesehen habe.«
Auf einer der Zufahrtsstraßen näherte sich mit hoher Geschwindigkeit ein offener Geländewagen. Trout wurde misstrauisch. Durch die Kamera verfolgte er, wie das Fahrzeug den Kai erreichte. »Wir bekommen Gesellschaft«, sagte er ruhig. »Höchste Zeit, dass wir verschwinden.«
Mit quietschenden Reifen kam der Wagen zum Stehen. Sechs uniformierte und bewaffnete Männer sprangen heraus, liefen den Kai entlang auf die Gangway zu und weiter an Bord. Juri hatte gezögert, doch als er die Waffen sah, gab er Vollgas und steuerte hinaus in die Bucht.
Der Bug hob sich, und das Boot glitt ungeachtet seiner massigen Bauart mit beachtlicher Geschwindigkeit über die Wellenkämme. Am Heck der Jacht blitzte Mündungsfeuer auf.
Die Kugeln ließen eine Reihe kleiner Wasserfontänen aufspritzen. Paul rief den anderen zu, die Köpfe einzuziehen.
Eines der Geschosse traf das Boot und riss einen Splitter aus der Bordwand, doch wenige Sekunden später befanden sie sich außer Reichweite – allerdings noch nicht außer Gefahr. Dem ersten Wagen war ein zweiter gefolgt, dessen Besatzung nun zu einem Steg rannte, an dem mehrere Motorboote vertäut lagen.
Juri hielt auf die belebte Fahrrinne zu und kreuzte dabei das Kielwasser eines Frachters, der aufs offene Meer unterwegs war.
Das kleine Boot sprang wie ein Delphin über die hohen Wogen hinweg, nahm aber keinen Schaden. Dann fuhr Juri parallel zu dem Frachter weiter, so dass das Schiff sich zwischen ihnen und dem Ufer befand. Als sie den Ataman-Komplex weit hinter sich gelassen hatten, drehte er ab und folgte dem Küstenverlauf zurück zum Ausgangspunkt ihrer Reise. Paul schlug vor, sich in einem der kleinen Flüsse zu verstecken. Sie warteten zehn Minuten, doch es folgte ihnen niemand.
Juris Gesicht war vor Aufregung gerötet. »Mann, das war klasse. Ich habe gehört, dass viele Firmen sich zum Schutz vor der russischen Mafia eigene Privatarmeen halten, aber bis heute hatte ich diese Leute noch nie zu Gesicht bekommen.«
Paul machte sich Vorwürfe, weil sie den Sohn seines ehemaligen Kollegen in Gefahr gebracht hatten. Er und Gamay schuldeten Juri eine Erklärung, aber zu viel Wissen konnte genauso gefährlich sein. Durch einen Blick teilte Gamay ihm wortlos mit, dass sie wusste, was nun zu tun war.
»Juri, wir möchten Sie um einen Gefallen bitten«, sagte sie.
»Es wäre uns lieb, wenn Sie niemandem erzählen würden, was da drüben passiert ist.«
»Ich schätze, Sie haben meinem Vater nicht bloß aus reiner Geselligkeit einen Besuch abgestattet«, sagte Juri.
Gamay nickte. »Wir sollen im Auftrag der NUMA Ataman Industries überprüfen. Man vermutet, dass dieser Konzern in zwielichtige Geschäfte verwickelt ist. Unser Plan sah vor, in sicherer Entfernung zu bleiben. Wir hätten nicht gedacht, dass die Leute, na ja, so
empfindlich
sein würden.«
»Das war wie in einem James-Bond-Film!« Juri grinste breit.
»Außer dass es hier nicht um eine erfundene Geschichte geht.
Alles ist sehr real.«
Gamays ruhige Stimme drang weitaus besser zu Juri durch als der aufgeregte Wortschwall, den Paul womöglich über ihn ausgeschüttet hätte.
Juri bemühte sich um etwas mehr Ernst. »Ich werde den Mund halten, auch wenn es mir schwer fällt, meinen Freunden nichts zu verraten.« Er seufzte. »Die würden mir sowieso nicht
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