Flammendes Eis
die Krone sich heute?«
»Sie ist mit einem Großteil des Zarenschatzes in den Wirren der Revolution verschwunden. Als die Weiße Armee nach Jekaterinburg kam, wo der Zar wahrscheinlich ermordet wurde, fand man dort eine Aufstellung der Besitztümer der kaiserlichen Familie. Einige Gegenstände konnten gerettet werden, aber man geht allgemein davon aus, dass in diesem Inventar ohnehin nur ein Teil dessen verzeichnet war, was die Familie ins Exil mitgenommen hatte. Die wertvollsten Schätze, darunter auch die Krone, wurden nie gefunden.«
»Wurde eine Liste der vermissten Wertgegenstände angefertigt?«
»Ja, von den Sowjets, aber sie ist ebenfalls verschwunden. Man nimmt an, dass sie sich bis zum Untergang des Kommunismus im Besitz des KGB befand. Meine Nachforschungen haben ergeben, dass die Liste immer noch zu existieren scheint, doch ihr genauer Verbleib ist ungeklärt.«
»Woher wussten Sie ohne die Liste von der Krone?«
»Ich kenne dieses und einige andere Fotos, auf denen sie zu sehen ist. Sie besteht aus zwei Teilen, die das östliche und westliche Reich repräsentieren. Der zweiköpfige Adler ist das Wappentier der Romanows. Er thront auf der Wölbung der Krone und symbolisiert die Herrschaft über den Erdball.«
»Das Ding muss ein Vermögen wert sein.«
»Der Wert lässt sich nicht in Dollar oder Rubel beziffern. Die Krone und der restliche Schatz sind dem Schweiß und der Plackerei der russischen Leibeigenen zu verdanken, die den Zar als gottähnliches Wesen betrachteten. Er war der reichste Mann der Welt. Seine Einkünfte entsprangen den kaiserlichen Ländereien, die zweihundertsechzig Millionen Hektar umfassten, darunter Gold- und Silberminen. Das Vermögen war unermesslich groß. Unsere Monarchen hatten schon immer ein nahezu barbarisches Verlangen nach funkelndem Gold und Edelsteinen. Der Begriff ›Zar‹ entstand aus dem lateinischen ›Cäsar‹. Emire und Schahs legten ihm unsagbar wertvolle Geschenke zu Füßen.«
»Die Familie auf dem Foto sieht nicht so aus, als würde sie all diesen Reichtum genießen.«
»Sie wussten, dass die Krone eher ein Fluch als ein Segen war. Sie hätte einst auf dem zarten Kopf des kleinen Alexander ruhen sollen, wenngleich der Junge vermutlich nicht alt genug geworden wäre, um an die Stelle seines Vaters zu treten. Wissen Sie, er litt an Hämophilie, der Bluterkrankheit. Ein echtes Problem im europäischen Adel – all diese Ehen zwischen nahen Angehörigen. Wie dem auch sei, dann hätten eben andere Verwandte Anspruch auf den Thron erhoben.«
»Haben Sie eine Ahnung, wer diesen Schrein erbaut hat?«
»Zuerst dachte ich, es könnte Razow gewesen sein. Ich kann ihn mir gut hier vorstellen, wie er auf diesem Stuhl Platz nimmt und davon träumt, eines Tages Herrscher über Russland zu werden. Aber die dekadente Ausstattung der benachbarten Suite kommt mir komisch vor. Razow hat eine fast schon asketische Gesinnung. Von dem Mönch hingegen heißt es, er sei ausschweifend. Seltsam, wie sehr er und sein verkommener Lebensstil Rasputin gleichen. Ich schätze, dass Boris mehr Zeit hier verbracht hat als Razow. Razow sehnt sich nach der Vergangenheit. Der wahnsinnige Boris
lebt sie aus
.«
»Was für ein Rollentausch!«
»Kann sein, aber eines ist gewiss: Die beiden müssen aufgehalten werden«, sagte Petrow und sah Austin tief in die Augen. »Und Sie müssen mir dabei helfen.«
Austin war noch immer skeptisch. »Ich werde darüber nachdenken. Jetzt möchte ich bloß an die frische Luft.«
Petrow packte ihn am Arm. »Vielleicht kann einer Ihrer Landsleute Sie überzeugen. Erinnern Sie sich an die Worte des großen amerikanischen Patrioten und Philosophen Thomas Paine? Er hat einmal gesagt, er würde nicht für ein paar Hektar Land, sondern für eine
Sache
kämpfen.«
Austin war klar, dass in der Akte, die Petrow über ihn angelegt hatte, seine Vorliebe für Philosophie vermerkt sein musste.
»Wie sieht denn
Ihre
Sache aus, Iwan?«
»Vielleicht ist es dieselbe wie Ihre.«
»Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie von Mutterschaft und Apfelkuchen schwärmen und dabei die Flagge des American Way of Life hochhalten.«
»Flaggen geschwenkt, allerdings mit Hammer und Sichel, habe ich als junger Pionier während der Paraden zum ersten Mai. Hier geht es um wichtigere Dinge. Lassen Sie sich nicht durch unsere Vergangenheit beeinflussen. Beurteilen Sie mich anhand der gegenwärtigen Ereignisse, damit unsere beiden Länder eine
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