Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
setzt.
Plötzlich erlischt das Lämpchen an dem Stromschalter.
Joona steht regungslos im Flur und lauscht intensiv.
Er braucht eine Sekunde, um zu begreifen, dass die Lampe verdeckt wird, dass sich jemand vor sie gestellt hat.
Er duckt sich vorsichtig, um nicht zur Zielscheibe für eine blinde Attacke zu werden.
Hinter einer Tür brummt die Aufzugmaschinerie, und plötzlich ist die Lampe wieder zu sehen.
Joona weicht zurück und hört jemanden geschmeidig über den Boden huschen.
Kein Zweifel, da ist jemand. In einem der Kellerverschläge vor ihm hält sich ein Mensch auf.
»Vicky«, sagt er in die Dunkelheit hinein.
Plötzlich geht die Kellertür auf, aus dem Treppenhaus dringen Stimmen zu ihm herab, und jemand steigt die Treppe zum Fahrradkeller hinunter, während blinkend die Neonröhren angehen.
Joona nutzt diesen Moment, rückt einige schnelle Schritte vor, sieht eine Bewegung in einem Kellerverschlag und zielt mit der Pistole auf eine zusammengekauerte Gestalt.
Träge Neonröhrenblitze spalten die Dunkelheit, dann ist es hell. Die Tür zum Fahrradkeller schlägt zu, und die Stimmen entfernen sich wieder.
Joona steckt die Pistole ins Halfter zurück, tritt das kleine Sicherheitsschloss auf und eilt hinein. Die Gestalt in dem Verschlag ist wesentlich kleiner, als er zunächst gedacht hatte. Ihr gekrümmter Rücken bewegt sich hastig im Takt der Atemzüge.
Es ist ganz zweifellos Vicky Bennet, die vor ihm steht.
Ihr Mund ist zugeklebt, und ihre schmalen Arme sind hinter ihrem Rücken stark angewinkelt an den Gitterdraht gefesselt.
Joona nähert sich ihr schnell, um ihre Fesseln zu lösen. Sie steht mit gesenktem Kopf und atmet keuchend. Ihre verfilzten Haare hängen in das schmutzige Gesicht herab.
»Ich mache dich los, Vicky …«
Als er sich bückt, tritt sie ihm hart und ansatzlos gegen die Stirn. Ihr Fußtritt ist so kräftig, dass er rückwärts taumelt. Sie hängt an den festgezurrten Armen und tritt ihn gegen die Brust. Wegen des Gewichts werden ihre Schultergelenke fast ausgekugelt. Sie tritt wieder, aber diesmal hält Joona den Fuß mit der Hand auf. Sie schreit hinter dem Klebeband, strampelt und wirftsich nach vorn, so dass ein ganzes Stück des Drahtzauns nachgibt. Vicky zerrt mit beiden Armen und versucht, nach einer scharfen Stahllatte zu greifen, als der körperlich überlegene Joona sie auf den Betonboden wirft. Er hält sie mit dem Knie am Boden und legt ihr Handschellen an, bevor er die Fesseln und das Klebeband entfernt.
»Ich bringe dich um«, schreit Vicky.
»Ich bin Kommissar bei der …«
»Vergewaltige mich ruhig, tu es, es ist mir scheißegal, ich finde dich und bringe dich um und alles …«
»Vicky«, wiederholt Joona mit erhobener Stimme. »Ich bin Kriminalkommissar, und ich muss wissen, wo Dante ist.«
117
V ICKY BENNET ATMET GEHETZT durch ihren halb geöffneten Mund und starrt ihn an. Blut und Schmutz haben Striemen auf ihrem Gesicht hinterlassen, und sie sieht unendlich müde aus.
»Wenn Sie Polizist sind, müssen Sie Tobias aufhalten«, sagt sie heiser.
»Ich habe gerade mit Tobias gesprochen«, erklärt Joona. »Er ist losgezogen um E-Book-Reader zu verkaufen, die er …«
»Dieses Schwein«, sagt sie keuchend.
»Vicky, dir ist sicher klar, dass ich dich ins Polizeipräsidium bringen muss.«
»Ja, na und, dann tun Sie das doch, ist mir doch egal …«
»Aber erst … erst musst du mir sagen, wo der Junge ist.«
»Tobias hat ihn, und ich habe ihm geglaubt«, sagt Vicky und wendet sich ab.
Ihr Körper beginnt zu zittern.
»Ich habe ihm wieder geglaubt, ich …«
»Was versuchst du mir zu sagen?«
»Sie hören mir ja doch nicht zu«, entgegnet sie und sieht Joona mit feuchten Augen an.
»Ich bin ganz Ohr.«
»Tobias hat mir versprochen, Dante zu seiner Mutter zurückzubringen.«
»Das hat er nicht getan«, sagt Joona.
»Das weiß ich, aber ich habe ihm geglaubt … ich bin echt dermaßen bescheuert, ich …«
Ihre Stimme bricht, und in ihren dunklen Augen funkelt Panik:
»Kapieren Sie nicht? Er will den Jungen verkaufen, er will ihn verkaufen.«
»Was willst du mir …«
»Hören Sie nicht, was ich sage? Sie haben ihn gehen lassen«, schreit sie.
»Was meinst du mit verkaufen?«
»Dazu ist jetzt keine Zeit! Tobias ist … er wird Dante an Leute verkaufen, die ihn weiterverkaufen, und danach wird man ihn nie mehr finden.«
Sie eilen durch den Fahrradkeller und die steile Treppe hinauf. Joona hat mit einer Hand Vickys schmalen
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