Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
knistert im heißen Metall der Scheinwerfer. Durch die Wände dringt gedämpftes Hundegebell an sein Ohr.
Joona steht vollkommen still und zwingt sich, den Körper auf dem Bett zu betrachten. Sein Blick verharrt bei jedem Detail, obwohl er am liebsten fortgehen, das Haus verlassen und in die frische Luft und Dunkelheit des Waldes hinauslaufen würde.
Blut ist über den Boden gelaufen und hat die festgeschraubten Möbel und die blassen Bibelmotive an der Wand befleckt. Es ist an die Decke gespritzt und bis zu der Toilette ohne Tür. Auf dem Bett liegt ein schmales Mädchen im frühen Pubertätsalter. Sie ist auf den Rücken gelegt worden, ihre Hände bedecken das Gesicht. Sie ist nur mit einem weißen Baumwollslip bekleidet. Ihre Brüste werden von den Ellbogen verdeckt, und ihre Füße liegen an den Knöcheln über Kreuz.
Joona spürt sein Herz schlagen und sein Blut durch die Adern zum Gehirn schießen, fühlt die Pulsschläge in den Schläfen.
Er zwingt sich hinzuschauen, zu registrieren und zu denken.
Das Gesicht des Mädchens ist verborgen.
Als hätte sie Angst, als wollte sie den Täter nicht sehen.
Bevor sie auf das Bett gelegt wurde, war sie heftiger Gewalt in Form von wiederholten Schlägen mit einem stumpfen Gegenstand auf Stirn und Schädel ausgesetzt.
Sie war nur ein kleines Mädchen und muss sich schrecklich gefürchtet haben.
Vor wenigen Jahren war sie ein Kind, aber eine Kette von Ereignissen in ihrem Leben hat sie in dieses Zimmer geführt, in eine betreute Jugendwohngruppe. Vielleicht hatte sie einfach nur Pech mit ihren Eltern und Pflegefamilien. Vielleicht dachte man, dass sie hier sicher und geborgen sein würde.
Joona studiert jedes grausame Detail, bis er das Gefühl hat, es nicht länger aushalten zu können. Daraufhin schließt er für eine Weile die Augen und denkt an das Gesicht seiner Tochter und den Grabstein, der nicht ihrer ist, ehe er erneut die Augen öffnet und seine Untersuchung fortsetzt.
Alles deutet darauf hin, dass das Opfer auf dem Stuhl an dem kleinen Tisch saß, als der Täter es angriff.
Joona versucht, die Bewegungen herauszuarbeiten, die für die Blutspritzer verantwortlich sind.
Jeder Tropfen, der durch die Luft fällt, nimmt eine kreisrunde Form an und hat einen Durchmesser von fünf Millimetern. Ist der Tropfen kleiner, liegt es daran, dass das Blut einer äußeren Kraft ausgesetzt gewesen ist, die es in kleinere Tropfen zerstoben hat.
Wenn das der Fall ist, spricht man von Spritzern.
Joona steht auf zwei Trittplatten vor dem kleinen Tisch, wahrscheinlich genau an der Stelle, an der vor ein paar Stunden der Mörder gestanden hat. Da saß das Mädchen auf dem Stuhl hinter dem Tisch. Joona betrachtet das Muster der Blutspritzer, dreht sich um und sieht hochgeschleudertes Blut hoch oben an der Wand. Die Mordwaffe ist also viele Male nach hinten geschwungen worden, um kräftig auszuholen, und jedes Mal, wenn sie füreinen neuen Schlag die Richtung gewechselt hat, ist Blut nach hinten gespritzt worden.
Joona ist bereits länger an diesem Tatort geblieben, als irgendein anderer Kommissar es getan hätte. Trotzdem ist er noch nicht fertig. Er kehrt zu dem Mädchen im Bett zurück, steht vor ihr, sieht das Piercing im Nabel, den Lippenabdruck auf dem Wasserglas, sieht, dass bei ihr kurz unter der rechten Brust ein Leberfleck entfernt worden ist, sieht den blonden Flaum auf ihren Schienbeinen und einen bereits gelblich verfärbten blauen Fleck auf dem Oberschenkel.
Er beugt sich behutsam über sie. Ihre nackte Haut strahlt nur noch schwach Wärme ab. Er betrachtet die Hände, die auf ihrem Gesicht liegen, und sieht, dass sie den Täter nicht gekratzt hat, unter ihren Nägeln befinden sich keine Hautreste.
Er weicht einige Schritte zurück und mustert sie erneut. Die weiße Haut. Die Hände auf dem Gesicht. Die sich kreuzenden Fußgelenke. Auf ihrem Körper ist kaum Blut. Nur das Kissen ist blutig.
Ansonsten ist sie rein.
Joona schaut sich im Zimmer um. Hinter der Tür befindet sich ein kleines Regal mit zwei Kleiderhaken. Auf dem Fußboden unter dem Regal steht ein Paar Tennisschuhe mit zusammengeknüllten weißen Strümpfen darin, und an einem der Haken hängen eine bleiche Jeans an einer Schlaufe, ein schwarzer Sweater und eine Jeansjacke. Auf dem Regal liegt ein kleiner weißer BH.
Joona rührt die Kleidungsstücke nicht an, aber sie scheinen nicht blutig zu sein.
Wahrscheinlich hat sie sich ausgezogen und ihre Kleider aufgehängt, bevor sie ermordet
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