Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
hier sein … ihr Telefon ist ausgeschaltet und …«
21
DANIEL SIEHT SIE VERZWEIFELT AN , nestelt am Reißverschluss seiner Jacke herum und wiederholt, dass seine Frau einen Herzfehler hat. Der Hund bellt, spannt seine Leine so fest, dass er fast stranguliert wird, röchelt und bellt weiter.
Joona geht zu dem bellenden Hund unter dem Baum. Er versucht, ihn zu beruhigen, während er die Leine vom Halsband löst. Sobald Joona loslässt, läuft der Hund über den Hof und zu einem der kleineren Gebäude. Joona folgt ihm mit großen Schritten. Der Hund scharrt auf der Türschwelle, winselt und hechelt.
Daniel Grim starrt Joona und den Hund an und geht auf die beiden zu. Gunnarsson ruft ihm zu, dass er stehen bleiben soll, aber er lässt sich nicht beirren. Sein Körper ist steif und sein Gesicht verzweifelt. Unter seinen Füßen knirscht der Kies. Joona versucht, den Hund zu beruhigen, bekommt das Halsband zu fassen und zieht das Tier von der Tür fort.
Gunnarsson läuft über den Hof und greift nach Daniel Grims Jacke, aber der Mann reißt sich los, fällt auf den Schotter, schürft sich die Hand auf und kommt wieder auf die Beine.
Der Hund bellt, zerrt am Halsband und streckt sich.
Die uniformierte Beamtin stellt sich vor die Tür. Daniel versucht, sich an ihr vorbeizuzwängen und schreit mit tränenerstickter Stimme:
»Elisabeth! Elisabeth! Lassen Sie mich …«
Die Polizistin versucht, ihn von der Tür wegzugeleiten, während Gunnarsson zu Joona eilt und ihm bei dem Hund hilft.
»Meine Frau«, jammert Daniel. »Das könnte meine Frau …«
Gunnarsson zieht den Hund zum Baum zurück.
Der Hund jault, wirbelt mit den Pfoten Kies auf und bellt die Tür an.
Als Joona sich einen Latexhandschuh anzieht, spürt er einen kurzen, stechenden Schmerz hinter den Augen.
Auf einem geschnitzten Holzschild kurz unter dem niedrigen Dachvorsprung steht »Waschküche«.
Joona öffnet vorsichtig die Tür und blickt in den dunklen Raum hinein. Ein kleines Fenster steht offen, und hunderte Fliegen schwirren in der Luft. Überall auf den blankgewetzten Bodendielen sieht man die blutigen Abdrücke von Hundepfoten. Joona betritt den Raum nicht, beugt sich nur seitlich vor, um an dem offenen Kamin vorbeischauen zu können.
Die Rückseite eines Handys schimmert neben einer Spur aus verschmiertem Blut.
Als Joona sich durch die Türöffnung lehnt, wird das Surren der Fliegen lauter. Eine Frau von etwa fünfzig Jahren liegt mit offenem Mund rücklings in einer Blutlache. Sie trägt eine Jeans, rosa Socken und eine graue Strickjacke. Die Frau hat offenbar wegzurutschen versucht, aber jemand hat den gesamten oberen Teil ihres Gesichts und Kopfs zertrümmert.
22
PIA ABRAHAMSSON merkt, dass sie ein bisschen zu schnell fährt.
Sie hatte gehofft, früher aufbrechen zu können, aber die Versammlung der Gemeindepfarrer in Östersund hat sich hingezogen.
Pia betrachtet im Rückspiegel ihren Sohn. Sein Kopf ruht auf dem Rand des Kindersitzes, und seine Augen hinter den Brillengläsern sind geschlossen. Die Morgensonne blitzt zwischen den Bäumen auf, und ihre Strahlen fallen auf sein kleines, ruhiges Gesicht.
Sie senkt ihre Geschwindigkeit auf achtzig Kilometer, obwohl die Straße schnurgerade durch Nadelwald führt.
Die Straßen sind gespenstisch leer. Zwanzig Minuten zuvor ist ihr ein mit Holz beladener Lastzug entgegengekommen, aber seither hat sie kein einziges Fahrzeug mehr gesehen.
Sie blinzelt, um besser sehen zu können.
An beiden Straßenseiten flimmert monoton der Wildzaun vorbei.
Der Mensch dürfte das ängstlichste Tier der Welt sein, denkt sie.
In diesem Land gibt es achttausend Kilometer Wildzäune. Nicht um die Tiere zu schützen, sondern die Menschen. Durch diese Wäldermeere führen schmale Straßen, die zu beiden Seiten von hohen Zäunen geschützt werden.
Pia Abrahamsson schaut hastig nach Dante auf der Rückbank.
Sie wurde schwanger, als sie als Pfarrerin in der Gemeinde Hässelby arbeitete. Der Vater des Kindes war ein Redakteur derKirchenzeitung. Sie hielt den Schwangerschaftstest in der Hand und machte sich klar, dass sie sechsunddreißig Jahre alt war.
Sie behielt das Kind, den Vater allerdings nicht. Ihr Sohn ist das Beste, was ihr jemals passiert ist.
Dante schläft in seinem Kindersitz. Der Kopf hängt schwer auf den Brustkorb herab, und seine Schmusedecke ist auf den Boden gerutscht.
Bevor er einschlief, war er so müde, dass er wegen jeder Kleinigkeit losweinte. Er heulte, weil das Auto
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