Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
anschließend auf Höhe eines weißen Backsteingebäudes und fährt weiter auf der parallel zum Fluss verlaufenden Straße.
Die Einsatzzentrale verbindet den dänischen Fahrer mit der Polizei, einer Frau in einem Streifenwagen auf Patrouille. Sie sagt, dass sie Mirja Zlatnek heißt und sich nur dreißig Kilometer entfernt, auf der Landstraße 330 in Djupängen befindet.
Pia Abrahamsson übernimmt das Telefon und schluckt schwer, um ihre Übelkeit abzuschütteln. Sie hört selbst, dass ihre Stimme gefasst klingt, obwohl sie zittert:
»Hören Sie bitte«, sagt sie. »Mein Sohn ist gekidnappt worden und das Auto fährt auf der … warten Sie …«
Sie wendet sich an den Fernfahrer.
»Wo sind wir? Auf welcher Straße fahren wir?«
»Landstraße 86«, antwortet der Fahrer.
»Wie viel Vorsprung hat der Wagen?«, erkundigt sich die Polizistin.
»Ich weiß nicht«, sagt Pia. »Fünf Minuten vielleicht.«
»Sind Sie schon an Indal vorbeigekommen?«
»Indal«, wiederholt Pia.
»Bis dahin sind es noch fast zwanzig Kilometer«, sagt der Fahrer laut.
»Dann kriegen wir den Wagen«, sagt die Polizistin. »Dann sitzt er in der Falle …«
Als Pia Abrahamsson diese Worte hört, bricht sie in Tränen aus.Sie wischt sich schnell mit der Hand über die Wangen und hört, dass die Polizistin mit einem Kollegen spricht. Auf der Landstraße 330 und der Brücke über den Fluss sollen Straßensperren errichtet werden. Ihr Kollege befindet sich in Nordansjö und verspricht, dass er in weniger als fünf Minuten an Ort und Stelle sein wird.
»Das müsste reichen«, sagt die Polizistin schnell.
Der Lastzug fährt parallel zu dem mäandrierenden Flusslauf durch die dünn besiedelte Provinz Medelpad. Sie verfolgen das Auto mit Pia Abrahamssons vierjährigem Sohn, ohne es zu sehen, wissen aber, dass es vor ihnen ist. Denn es gibt keine Alternative. Die Landstraße 86 führt durch einzelne Ortschaften, aber es gibt keine Abfahrten, nur Wirtschaftswege ohne Anschlüsse, die mitten in den Wald hinein, kilometerweit in die Sumpfgebiete zu den Kahlschlägen führen, dort aber enden.
»Ich halte das nicht aus«, flüstert Pia.
Die Straße, auf der sie fahren, teilt sich etwa zehn Kilometer weiter wie eine Astgabel. Kurz hinter der kleinen Ortschaft Indal führt die eine Abzweigung der Gabel auf eine Brücke über den Fluss und anschließend fast schnurgerade nach Süden, während die andere Abzweigung bis zur Küste weiter dem Flusslauf folgt.
Pia hat krampfhaft die Hände gefaltet und betet zu Gott. Weiter vorn haben zwei Streifenwagen die beiden Straßen der Weggabelung abgesperrt. Der eine Wagen steht auf Höhe des Brückenpfeilers am anderen Flussufer und der andere befindet sich acht Kilometer weiter östlich.
Der Lastzug mit dem dänischen Fernfahrer und der Pfarrerin Pia Abrahamsson passiert soeben Indal. Durch den dichten Regen sehen sie die leere Brücke über dem hohen, strömenden Wasser und in der Nähe des Brückenpfeilers auf der anderen Seite das Blaulicht eines einsamen Streifenwagens.
25
POLIZEIMEISTERIN MIRJA ZLATNEK hat ihren Streifenwagen quer auf der Fahrbahn geparkt und die Handbremse angezogen. Ein Auto kann nur dann an ihr vorbeifahren, wenn es auf den Fahrbahnrand ausweicht und mit zwei Rädern in den tiefen Straßengraben fährt.
Vor ihr liegt eine lange schnurgerade Wegstrecke. Das blaue Warnlicht des Streifenwagens blitzt über den nassen Asphalt, fällt auf die dunklen Nadeln der Bäume und zwischen die Stämme.
Regen trommelt auf das Autodach.
Mirja rührt sich eine Weile nicht, schaut durch die Windschutzscheibe hinaus und versucht, die Situation zu überdenken.
Wegen des Wolkenbruchs herrscht schlechte Sicht.
Sie hatte eigentlich mit einem ruhigen Tag gerechnet, obwohl fast alle Kollegen der gesamten Region mit dem Fall des toten Mädchens im Haus Birgitta beschäftigt sind. Inzwischen hat sich sogar die Landeskriminalpolizei in die Ermittlungen eingeschaltet.
Mirja hat insgeheim eine immer größere Furcht vor der operativen Seite ihres Berufs entwickelt, ohne jemals selbst etwas Traumatisierendes erlebt zu haben. Vielleicht liegt es an dem Vorfall damals, als sie in einem Familiendrama zu vermitteln versuchte, was gründlich schiefging, aber das ist inzwischen viele Jahre her.
Ihre Ängstlichkeit hat sich schleichend aufgebaut. Heute bevorzugt sie deshalb Verwaltungsaufgaben und die Arbeit an Maßnahmen zur Verbrechensvorbeugung.
Am Morgen hat sie an ihrem Schreibtisch gesessen und
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