Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
werden …«
Susanne Öst betritt den Frühstückssaal und holt Joona. Mit einem flüchtigen Lächeln bietet sie ihm eine Tasse Kaffee und ein Gebäckstück an. Er bedankt sich und begleitet sie zum Aufzug. Gemeinsam fahren sie in die oberste Etage und betreten eine düstere Hochzeitssuite mit abgeschlossener Minibar und einem Whirlpool auf verkratzten Goldtatzen.
Tuula Lehti liegt auf einem breiten Bett mit hohen Pfosten und schaut den Disney Channel. Der Betreuer nickt ihnen zu. SusanneÖst schließt die Tür, und Joona zieht einen Stuhl mit rosa Plüschbezug heran und setzt sich.
»Warum hast du mir gesagt, dass Vicky sich mit jemandem trifft, der Dennis heißt?«, fragt Joona.
»Das habe ich geglaubt«, erwidert sie kurz angebunden.
»Und wie bist du darauf gekommen?«
Tuula zuckt mit den Schultern und wendet den Blick dem Fernseher zu.
»Hat sie jemanden namens Dennis erwähnt?«
»Nein«, antwortet sie lächelnd.
»Tuula, ich muss Vicky wirklich finden.«
Sie tritt die Tagesdecke und die rosa Seidendecke auf den Fußboden und schaut anschließend weiter fern.
»Muss ich hier den ganzen Tag bleiben?«, fragt sie.
»Nein, wenn du möchtest, kannst du auf dein Zimmer zurückgehen«, erklärt der Betreuer.
»Sinä olet vain pieni lapsi«, sagt Joona. Du bist nur ein kleines Kind.
»Ei«, entgegnet sie leise und sieht ihm in die Augen.
»Du solltest nicht in einem Heim leben müssen.«
»Mir gefällt’s«, sagt sie tonlos.
»Passiert dir da nie etwas Schlimmes?«
Ihr Hals errötet, und die weißen Wimpern zittern.
»Nein«, antwortet sie wortkarg.
»Miranda hat dich gestern geschlagen.«
»Stimmt«, murmelt sie und versucht, das herzförmige Kissen zusammenzudrücken.
»Warum war sie so wütend auf dich?«
»Sie dachte, ich wäre in ihrem Zimmer gewesen und hätte in ihren Sachen gewühlt.«
»Und, hast du das?«
Tuula lutscht an dem Herzkissen.
»Ja, aber ich habe ihr nichts weggenommen.«
»Warum hast du in ihren Sachen gewühlt?«
»Das mache ich in allen Zimmern.«
»Warum?«
»Nur so aus Spaß«, antwortet sie.
»Aber Miranda dachte, du hättest ihr etwas geklaut?«
»Ja, sie war ein bisschen wütend …«
»Was meinte sie denn, was du ihr weggenommen hast?«
»Das hat sie nicht gesagt«, erklärt Tuula lächelnd.
»Und was glaubst du?«
»Keine Ahnung, meistens geht es um Medikamente … Lu Chu hat mich die Treppe runtergeschubst, als sie dachte, ich hätte ihre verdammten Rohypnol genommen.«
»Wenn es nicht um Medikamente ging – was könntest du ihrer Meinung nach denn sonst noch genommen haben?«
»Was weiß ich«, seufzt Tuula. »Make-up, Ohrringe …«
Sie setzt sich wieder auf die Bettkante, lehnt sich zurück und murmelt etwas von einer Strasshalskette.
»Und Vicky?«, fragt Joona. »Schlägt Vicky sich auch ab und zu?«
»Nein«, sagt Tuula, und sie lächelt erneut.
»Was macht sie dann?«
»Dazu sage ich nichts, ich kenne sie doch gar nicht, ich glaube nicht, dass sie auch nur ein einziges Wort mit mir gesprochen hat, aber …«
Das Mädchen verstummt und zuckt mit den Schultern.
»Warum nicht?«
»Weiß nicht.«
»Aber du musst doch schon mal gesehen haben, dass sie wütend geworden ist?«
»Sie ritzt sich und ihr könnt …«
Tuula verstummt und schüttelt den Kopf.
»Was wolltest du sagen?«
»Dass ihr sie vergessen könnt … die bringt sich eh bald um, unddann habt ihr ein Problem weniger am Hals«, erwidert Tuula und weicht Joonas Blick aus.
Sie mustert ihre Finger, murmelt etwas in sich hinein, steht unvermittelt auf und verlässt den Raum.
39
DAS ETWAS ÄLTERE MÄDCHEN namens Caroline betritt in Begleitung des Betreuers das Zimmer. Sie trägt ein langes, weites T-Shirt mit einem Kätzchen. Ein Tattoo aus Runen windet sich um den einen Arm, und in den Armbeugen leuchten weiß alte Injektionsnarben.
Als sie Joona begrüßt, lächelt sie schüchtern. Danach setzt sie sich vorsichtig auf den Sessel an dem braunen Schreibtisch.
»Tuula sagt, dass Vicky sich nachts aus dem Haus schleicht, um sich mit einem Typen zu treffen«, sagt Joona.
»Nein«, sagt Caroline lachend.
»Warum glaubst du das nicht?«
»Das macht sie nicht«, erwidert Caroline lächelnd.
»Du scheinst dir deiner Sache ganz schön sicher zu sein.«
»Tuula glaubt, dass alle totale Schlampen sind«, erklärt sie.
»Dann schleicht sich Vicky also nicht aus dem Haus?«
»Doch«, antwortet Caroline und wirkt ernst.
»Und was macht sie draußen?«, fragt Joona,
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