Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
jemand steht. Es istder junge Mann aus ihrer Séance. Er macht einen Schritt auf sie zu und lächelt entschuldigend.
»Hallo, ich wollte Sie fragen … könnte ich Sie eventuell zu einem Glas Wein einladen?«
»Das geht nicht«, antwortet sie mit reflexartiger Menschenscheu.
»Sie waren wirklich fantastisch«, sagt er.
Flora weiß nicht, was sie darauf erwidern soll, und spürt, dass sie immer mehr errötet, je länger er sie ansieht.
»Es ist nur, weil ich nach Paris reise«, lügt sie ihn an.
»Hätten Sie vielleicht Zeit, mir ein paar Fragen zu beantworten?«
Ihr wird klar, dass er ein Journalist von einer der Zeitungen sein muss, die sie kontaktiert hat.
»Ich fahre morgen in der Frühe«, sagt sie.
»Geben Sie mir nur eine halbe Stunde, ginge das?«
Während sie über die Straße zum nächstgelegenen Bistro eilen, erzählt der junge Mann, dass er Julian Borg heißt und für die Zeitung Nachbarschaft schreibt.
Einige Minuten später sitzt Flora ihm an einem Tisch mit einer weißen Papiertischdecke gegenüber. Sie nippt vorsichtig an ihrem Rotwein. Süßes und Herbes mischen sich in ihrem Mund, und ihr Körper wird von innen erwärmt. Julian Borg isst einen Cäsarsalat, und seine Augen mustern sie neugierig.
»Wie fing das an?«, fragt er. »Haben Sie schon immer Geister gesehen?«
»Als ich klein war, dachte ich, jeder würde sie sehen, ich fand es nicht weiter seltsam«, antwortet sie und wird rot, weil ihr diese Lügen so leicht über die Lippen kommen.
»Was haben Sie gesehen?«
»Dass Menschen, die ich nicht kannte, bei uns wohnten … ich dachte einfach nur, es wären einsame Menschen … und manchmal kam auch ein Kind in mein Zimmer, mit dem ich zu spielen versuchte …«
»Haben Sie Ihren Eltern davon erzählt?«
»Ich lernte ziemlich schnell, lieber zu schweigen«, sagt Flora und trinkt erneut einen kleinen Schluck Wein. »Tatsächlich ist mir erst vor Kurzem klar geworden, dass viele Menschen die Geister brauchen, auch wenn sie die Verstorbenen nicht sehen können … und die Geister brauchen die Menschen. Ich habe endlich meine Aufgabe gefunden … Ich stehe in der Mitte und helfe ihnen, einander zu begegnen.«
Ihr Blick ruht einige Sekunden in Julian Borgs warmherzigen Augen.
In Wahrheit fing alles an, als Flora ihre Arbeit als Hilfskrankenschwester verlor. Sie sah ihre alten Arbeitskollegen immer seltener, und innerhalb eines Jahres hatte sie jeden Kontakt zu ihren Freunden verloren. Als sie kein Arbeitslosengeld mehr erhielt, hatte sie sich gezwungen gesehen, zu Ewa und Hans-Gunnar zurückzuziehen.
Auf Vermittlung des Arbeitsamts besuchte sie einen Lehrgang, um Nageldesignerin zu werden, und lernte eine der Teilnehmerinnen kennen − Jadranka aus der Slowakei. Jadranka war phasenweise depressiv, aber wenn es ihr besser ging, verdiente sie sich ein Zubrot, indem sie über eine Internetseite namens Tarot-Forum Anrufe entgegennahm.
Die beiden freundeten sich an, und Jadranka nahm Flora zu einer Großséance bei der spiritistischen Gesellschaft Die Wahrheitssucher mit. Hinterher sprachen sie darüber, wie man das alles viel besser machen könnte, und ein paar Monate später fanden sie den Kellerraum in der Upplandsgatan. Nach zwei Séancen verschlimmerte sich die Depression der Freundin jedoch so, dass sie in eine Klinik südlich von Stockholm eingewiesen wurde. Von da an führte Flora die Séancen alleine durch.
Sie lieh sich in der Bibliothek Bücher über Geisterheilung, Wiedergeburt, Engel, Auren und Astralkörper. Sie las von den Schwestern Fox, Spiegelkabinetten und Uri Geller, aber am meisten lernte sie von den Bemühungen des Skeptikers James Randi, Bluffs und Tricks zu entlarven.
Flora hat noch nie Geister oder Gespenster gesehen, aber erkannt, dass ihre Stärke darin liegt, den Menschen das zu sagen, wonach sie sich sehnen.
»Sie benutzen das Wort Geister und nicht Gespenster«, sagt Julian und legt sein Besteck auf dem Teller ab.
»Gemeint ist natürlich das Gleiche«, erwidert sie. »Aber Gespenster klingt irgendwie unheimlich oder negativ.«
Julian lächelt, und seine Augen sind in sympathischer Weise ehrlich, als er sagt:
»Ich muss Ihnen gestehen … es fällt mir wirklich sehr schwer, an Geister zu glauben, aber …«
»Man muss offen dafür sein«, erläutert Flora. »Conan Doyle war zum Beispiel Spiritist … Sie wissen schon, der Autor der Bücher über Sherlock Holmes …«
»Haben Sie schon einmal der Polizei geholfen?«
»Nein,
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