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Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)

Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Kepler
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Kartei zu finden, und alle, die ihr begegnet sind, scheinen sie als ein zurückhaltendes und freundliches Mädchen wahrgenommen zu haben.
    Trotzdem sprechen alle Indizien dafür, dass sie die Morde begangen hat.
    Außerdem deutet alles darauf hin, dass sie den kleinen Jungen entführt hat.
    Vielleicht liegt er in diesem Moment bereits mit eingeschlagenem Schädel in einem Straßengraben.
    Aber wenn er noch lebt, drängt die Zeit.
    Vielleicht sitzt er auch zusammen mit Vicky im Auto in irgendeiner dunklen Garage, vielleicht schreit sie ihn gerade an und steigert sich in eine rasende Wut hinein.
    Suche in der Vergangenheit, lautete wie üblich Nathan Pollocks Rat.
    Es ist so einfach wie selbstverständlich – die Vergangenheit spiegelt stets die Zukunft wider.
    In ihren fünfzehn Lebensjahren ist Vicky viele Male umgezogen. Von ihrer obdachlosen Mutter zu Pflegefamilien, Notaufnahmen und Jugendheimen.
    Irgendwo hält Vicky sich in diesem Moment auf.
    Die Antwort kann bei einer der Familien liegen, bei denen sie gewohnt hat, sie kann sich in einem Gespräch verbergen, das sie mit den Menschen geführt hat, die ihre Betreuer oder Pflegeeltern gewesen sind.
    Es muss Menschen geben, denen sie vertraut und denen sie sich anvertraut hat. Joona will gerade aufstehen, um zu Anja zu gehen und sich zu erkundigen, ob sie bereits einige Namen und Adressen herausgefunden hat, als sie in der Tür steht. Ihren kräftig gebauten Körper hat sie in einen engen schwarzen Rock gezwängt,und sie trägt wie üblich einen Angorajumper. Die blonden Haare sind kunstvoll hochgesteckt, und ihr Lippenstift ist knallrot.
    »Bevor ich antworte, muss ich einfach loswerden, dass in einem Jahr mehr als fünfzehntausend Kinder verteilt werden«, beginnt Anja. »Die Politiker haben die Reform, die zur Öffnung des Gesundheitssektors für private Anbieter geführt hat, damit begründet, dass es eine Möglichkeit zur freien Arztwahl geben soll. Mittlerweile sind die meisten Einrichtungen im Besitz von Risikokapitalgesellschaften. Es geht zu wie auf den Kinderauktionen früherer Zeiten, wer am wenigsten Geld verlangt, bekommt den Zuschlag für die Pflege … man spart am Personal, am Unterricht, an Therapie und Zahnpflege, um Geld zu verdienen …«
    »Ich weiß«, sagt Joona, »aber Vicky Bennet …«
    »Mir ist die Idee gekommen, dass man vielleicht versuchen sollte, ihren letzten Sachbearbeiter aufzutreiben.«
    »Könntest du das für mich tun?«, fragt Joona.
    Sie lächelt nachsichtig und legt den Kopf schief:
    »Das habe ich längst getan, Joona Linna …«
    »Du bist fantastisch«, sagt Joona ernst.
    »Für dich tue ich doch alles.«
    »Das habe ich nicht verdient«, erwidert Joona lächelnd.
    »Ja, da hast du recht«, stimmt sie ihm zu und verlässt den Raum.
    Er bleibt noch einen Moment sitzen, steht dann auf, geht in den Flur hinaus, klopft an und öffnet Anjas Tür.
    »Die Adressen«, sagt sie und zeigt auf einen Stapel Blätter, der im Drucker liegt.
    »Danke.«
    »Als der Sachbearbeiter meinen Namen hörte, meinte er, Schweden habe einmal eine fantastische Delphinschwimmerin gleichen Namens gehabt«, sagt sie und errötet.
    »Du hast ihm doch hoffentlich gesagt, dass du das warst?«
    »Nein, aber er hat mir erzählt, dass Vicky Bennet erst mit sechs Jahren behördlich erfasst wurde. Ihre Mutter Susie war obdachlosund scheint ihr Kind ohne medizinische Betreuung zur Welt gebracht zu haben. Die Mutter wurde in die Psychiatrie eingewiesen und Vicky bei Bereitschaftspflegeeltern hier in Stockholm untergebracht.«
    Joona hält die noch warme Liste in der Hand, sieht Datum und Ort, eine Reihe von Namen und Adressen, angefangen bei den ersten Bereitschaftspflegeeltern Jack und Elin Frank, wohnhaft Strandvägen 47, bis zum Jugendheim Ljungbacken in Uddevalla und dem Haus Birgitta in der Kommune Sundsvall. An mehreren Stellen ist vermerkt, dass das Kind den Wunsch geäußert hat, zu seinen ersten Pflegeeltern zurückkehren zu dürfen.
    »Das Kind bittet darum, zu Familie Frank zurückkehren zu dürfen, aber die Familie möchte dieser Bitte nicht entsprechen«, lautet der trockene, immer wiederkehrende Kommentar.
    Am Ende wohnt Vicky Bennet nicht mehr bei Familien. Nur noch in Heimen. Notaufnahmen, geschlossenen und halboffenen Einrichtungen, Therapiezentren, betreuten Jugendwohngruppen.
    Er denkt an den blutigen Hammer unter dem Kissen und das Blut auf dem Fensterrahmen.
    Das schmale, verbissene Gesicht auf dem Foto und die hellen verfilzten

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