Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
hinten anzufangen. Vor dem Haus Birgitta war sie im Jugendheim Ljungbacken untergebracht, und davor zwei Wochen bei einer Familie Arnander-Johansson im mittelschwedischen Katrineholm.
Wieder sieht Joona vor sich, wie Åhlén und Frippe die Hände von Mirandas Gesicht fortzerrten. Sie kämpften mit den totenstarren Armen. Die Tote schien sich dagegen zu stemmen, als wollte sie nicht gesehen werden, als schämte sie sich.
Aber ihr Gesicht war ruhig und so weiß wie Perlmutt.
Sie hatte die Decke um sich geschlungen, als sie Åhlén zufolge mit einem großen Stein geschlagen wurde. »Sechs oder sieben Mal, wenn Joona die Blutspritzer richtig gelesen hat.«
Dann wurde sie aufs Bett gehoben und die Hände auf ihr Gesicht gelegt.
Das Letzte, was sie in ihrem Leben sah, war ihr Mörder.
Joona bremst, fährt durch eine ältere Eigenheimsiedlung und parkt vor einer flachen Hecke aus blühendem Fingerstrauch.
Er steigt aus dem Auto und geht zu einem großen hölzernen Briefkasten mit einem Namensschild aus Messing: Arnander-Johansson. Eine Frau kommt mit einem Eimer roter Äpfel in der Hand ums Haus. Sie hat Probleme mit den Hüften, und ihr Mund verzerrt sich ab und zu vor Schmerz. Sie ist korpulent, hat große Brüste und dicke Oberarme.
»Sie haben ihn knapp verpasst«, sagt die Frau, als sie Joona erblickt.
»Typisch«, scherzt er.
»Er musste zur Lagerhalle fahren … es ging um irgendwelche Lieferscheine.«
»Von wem sprechen wir eigentlich?«, erkundigt sich Joona lächelnd.
Sie stellt den Eimer ab.
»Ich habe gedacht, Sie wollen sich das Laufband ansehen.«
»Wie viel kostet es denn?«
»Siebentausend Kronen, nagelneu«, antwortet sie und verstummt.
Sie streicht mit der Hand über ihr Hosenbein und sieht ihn an.
»Ich bin von der Landeskriminalpolizei und muss Ihnen einige Fragen stellen.«
»Und worüber?«, fragt sie mit schwacher Stimme.
»Über Vicky Bennet, die hier … vor fast einem Jahr gewohnt hat.«
Die Frau nickt mit traurigem Gesicht, zeigt auf die Tür und geht dann selbst ins Haus. Joona folgt ihr in eine Küche mit einem Kiefernholztisch mit einer gestrickten Tischdecke und geblümten Vorhängen vor dem Fenster zum Garten. Der Rasen ist frisch geschnitten, und an der Grenze zum Nachbargrundstück wachsen Pflaumensträucher und Stachelbeerbüsche. Um ein kleines, hellblaues Schwimmbecken liegt ein hölzerner Fußrost. Am rechts gelegenen Überlauf treiben Badespielsachen im Wasser.
»Vicky ist weggelaufen«, sagt Joona ohne Umschweife.
»Das habe ich gelesen«, flüstert die Frau und stellt den Eimer mit den Äpfeln auf die Spüle.
»Haben Sie eine Idee, wo sie sich verstecken könnte?«
»Keine Ahnung.«
»Hat sie von Freunden, Jungen erzählt …«
»Vicky hat hier eigentlich gar nicht gewohnt«, sagt die Frau.
»Wieso nicht?«
»Es hat sich nicht so ergeben«, antwortet sie und wendet sich ab.
Die Frau füllt die Kaffeekanne mit Wasser und gießt das Wasser in den Behälter der Kaffeemaschine, ehe ihre Bewegungen zum Erliegen kommen.
»Es ist ja wohl üblich, Gästen einen Kaffee anzubieten«, sagt sie kraftlos.
Joona sieht durch das Fenster, dass im Garten zwei blonde Jungen Karate spielen. Sie sind beide schmal und braun gebrannt und tragen große Badeshorts. Ihr Spiel ist ein bisschen zu wild, ein bisschen zu hart, aber sie lachen trotzdem die ganze Zeit.
»Sie nehmen Kinder und Jugendliche in Ihrer Familie auf?«
»Unsere Tochter ist neunzehn, so dass … wir machen das jetzt seit ein paar Jahren.«
»Wie lange bleiben die Kinder im Allgemeinen?«
»Das ist ganz unterschiedlich … mal länger, mal kürzer«, antwortet sie und wendet sich Joona zu. »Viele kommen ja aus wirklich schlimmen Verhältnissen.«
»Ist das ein Problem?«
»Nein, das ist es nicht … natürlich gibt es Konflikte, aber im Grunde muss man nur klare Grenzen setzen.«
Einer der Jungen macht einen Sprungtritt über die Oberfläche des Schwimmbeckens und landet mit einem großen Klatschen im Wasser. Der andere schlägt mehrmals gerade in die Luft und folgt dem anderen mit einem Salto.
»Aber Vicky ist nur zwei Wochen geblieben«, sagt Joona und sieht die Frau an. Sie weicht seinem Blick aus und kratzt sich schwach am Unterarm.
»Wir haben zwei Jungen«, sagt sie vage. »Sie sind jetzt seit zwei Jahren bei uns … sie sind Brüder … wir hatten gehofft, dass es mit Vicky klappen würde, aber dann mussten wir die Sache abbrechen.«
»Was ist passiert?«
»Nichts … im
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