Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
mich nicht dauernd anrufen …«
»Hast du geschlafen?«
»Ja.«
»Allein?«
»Nein.«
»Bist du ehrlich, um mich zu verletzen, oder um …«
»Wir sind geschieden, Elin«, unterbricht er sie.
Elin geht ins Schlafzimmer, bleibt stehen, wobei sie den Blick auf das große Bett richtet.
»Sag, dass du dich nach mir sehnst«, flüstert sie.
»Gute Nacht, Elin.«
»Wenn du willst, kannst du die Wohnung in der Broome Street haben.«
»Ich will sie nicht, du findest New York doch so toll.«
»Die Polizei scheint zu glauben, dass Vicky zwei Menschen ermordet hat.«
»Unsere Vicky?«
Ihr Mund beginnt zu zittern, Tränen treten ihr in die Augen.
»Ja … sie waren hier und haben nach ihr gefragt.«
»Wie furchtbar«, sagt er leise.
»Kannst du nicht herkommen, ich brauche dich … du kannst Norah mitbringen, wenn du willst, ich bin nicht eifersüchtig.«
»Elin … ich werde nicht nach Stockholm fahren.«
»Entschuldige, dass ich angerufen habe«, sagt Elin und beendet das Gespräch.
52
HOCH OBEN IM HAUS KUNGSBRON 21 befinden sich die Räume der obersten Dienstaufsichtsbehörde und der internen Ermittler der Landespolizeiführung. Joona sitzt in einem kleinen Büro zusammen mit Mikael Båge, dem Leiter der Abteilung für interne Ermittlungen, und Chefsekretärin Helene Fiorine.
»Zum besagten Zeitpunkt führte der Staatsschutz eine Razzia bei der Brigade durch, einer linksextremistischen Gruppierung«, sagt Båge und räuspert sich. »Die Anzeige macht geltend, dass Kriminalkommissar Linna sich gleichzeitig oder kurz vorher an der genannten Adresse aufgehalten haben soll …«
»Das ist korrekt«, erwidert Joona und blickt durchs Fenster auf die Eisenbahngleise und den Kanal Barnhusviken hinab.
Helene Fiorine legt Stift und Notizblock weg, wirkt verlegen und macht eine Art flehende Geste.
»Joona, ich muss dich bitten, diese internen Ermittlungen ernst zu nehmen«, sagt sie.
»Das tue ich«, antwortet er abwesend.
Ihr Blick verweilt ein wenig zu lange in seinen silbergrauen Augen, ehe sie hastig nickt und wieder nach ihrem Stift greift.
»Bevor wir für heute zum Schluss kommen«, sagt Mikael Båge und bohrt längere Zeit in seinem Ohr, »muss ich den schwerwiegendsten Vorwurf ansprechen, der gegen Sie erhoben wird …«
»Es könnte sich natürlich auch um ein Missverständnis handeln«, erklärt Helene schnell. »Die beiden Ermittlungen könnten sich nur unglücklich überschnitten haben.«
»Aber in der Anzeige gegen Sie«, fährt Båge fort und blickt auf seinen Finger, »heißt es, dass der Einsatz des Staatsschutzes misslang, weil Sie den innersten Kreis der Brigade vorher gewarnt haben.«
»Ja, das habe ich getan«, erwidert Joona.
Helene Fiorine steht von ihrem Stuhl auf, weiß nicht, was sie sagen soll, steht einfach da und sieht Joona mit traurigen Augen an.
»Sie haben die Gruppe vor der Razzia gewarnt?«, fragt Båge lächelnd.
»Diese jungen Leute waren voller unreifer Ideen«, erläutert er, »aber nicht gefährlich und nicht …«
»Der Staatsschutz war da aber zu einer anderen Einschätzung gekommen«, unterbricht Båge ihn.
»Ja«, bestätigt Joona leise.
»Damit beenden wir diese erste Vernehmung«, sagt Helene Fiorine und sammelt ihre Unterlagen ein.
53
ES IST SCHON HALB FÜNF , als Joona am Stockholmer Vorort Tumba vorbeifährt, wo er einmal in einem Dreifachmord in einem Reihenhaus ermittelt hat.
Auf dem Sitz neben ihm liegt die Liste über Vicky Bennets verschiedene Aufenthaltsorte im Laufe der Jahre. Der letzte war das Haus Birgitta und der erste die Wohnung am Strandvägen 47.
Sie muss mit irgendwem von all den Menschen geredet haben, bei denen sie sich früher aufgehalten hat. Sie muss sich jemandem anvertraut und erwähnt haben, ob sie irgendwo Freunde hat.
Über Vicky sagte Elin Frank nur, dass sie süß und lieb war.
Süß und lieb, denkt Joona.
Für die vermögende Familie Frank war Vicky ein schutzloses Kind, das Hilfe brauchte, ein Mensch, zu dem man barmherzig ist.
Es ging um Wohltätigkeit.
Für Vicky war Elin dagegen die erste Mama nach ihrer eigenen.
Das Leben am Strandvägen muss eine völlig neue Erfahrung für sie gewesen sein. Sie brauchte nicht zu frieren und bekam regelmäßige Mahlzeiten. Sie schlief in einem Bett und trug gute Kleider. Die Zeit bei Elin und Jack sollte für sie viele Jahre einen speziellen Glanz behalten.
Joona blinkt und wechselt auf die linke Spur.
Er hat die Liste studiert und beschlossen, diesmal von
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