Flammentod
Bruchmann und blieb stehen. Ich konnte einige niedrige Tannen erkennen, hinter denen der Himmel etwas heller wirkte. Ihre Umrisse zeichneten sich deutlich ab. Über den Baumspitzen flogen helle Teilchen in den Himmel. Es sah aus wie ein aufgeschreckter Glühwürmchenschwarm.
»Wir müssen ein Stück zwischen den Tannen durch«, flüsterte Bruchmann. »Aber nicht zu weit. Sonst werden wir vom Feuer angeleuchtet, und sie sehen uns.«
Bruchmann ging vor, nahm seinen Rucksack ab und kniete sich dann hin. Mit der rechten Hand gab er uns ein Zeichen, ihm zu folgen. Als meine Knie den harten Boden berührten und sich spitze Steinchen durch den Stoff meiner Hose bohrten, beneidete ich Jutta um ihre robuste Motorradkluft.
Vorsichtig schoben wir uns unter den Zweigen hindurch. Das Trommeln wurde immer lauter, und mittlerweile konnte ich schon die Flammen des Feuers erkennen. Davor bewegten sich Schatten.
»Haben Sie Handys dabei?« fragte Bruchmann plötzlich. »Machen Sie sie um Gottes willen aus.«
Wir kramten liegend unsere Mobiltelefone heraus und kamen Bruchmanns Wunsch nach.
»Wir können nur noch wenig weiter«, erklärte er. »Sonst ist es zu gefährlich.«
»Wir sehen auch von hier aus schon ziemlich viel«, sagte Jutta.
»Was machen die da?« fragte ich. »Das sieht mir nicht so sehr nach Hexen aus - eher nach Indianern.«
Vor uns lag eine ausgedehnte dunkle Fläche, die wahrscheinlich mit Gras bedeckt war. Genau war das in der Dunkelheit nicht zu erkennen. In der Mitte brannte das Feuer, und drei weißgekleidete Gestalten tanzten in irrwitziger Geschwindigkeit im großen Kreis und mit riesigen Sprüngen um die Flammen herum. Jede hielt in der einen Hand eine Art Tamburin und schlug mit der anderen darauf ein.
»Sind das Häuser auf der gegenüberliegenden Seite?« fragte ich, denn ich sah ein paar Dächer aufragen.
»Das ist Steinenbrück«, sagte Bruchmann.
»Warum sind Sie nicht von da gekommen? Wäre das nicht näher gewesen?«
»Da müssen Sie durch Privatgärten, das ist nicht gut. Außerdem können Sie schon früh gesehen werden.«
»Was sagen denn die Leute, die da wohnen, zu diesem Krach?«
»Die kennen das schon. Ich habe mit einigen Interviews gemacht. Manche haben auch schon mal die Polizei geholt, wegen Ruhestörung. Letztlich können sie aber nichts dagegen machen.«
Das Feuer war hell genug, daß ich sehen konnte, wie Bruchmann seelenruhig seine Kamera zur Hand nahm. Er legte sie auf einem Baumstumpf ab. »Sehr praktisch. Die Perspektive stimmt genau. Das habe ich letztes Mal schon so gemacht.«
»Letztes Mal?« fragte Jutta.
»Wintersonnenwende. Kurz vor Weihnachten. War saukalt, kann ich Ihnen sagen. Und es hat geregnet. Der Baumstumpf war damals schon da. Er gibt ein perfektes Stativ ab. Ich muß jetzt nur noch auf den Auslöser drücken.«
»Haben Sie die Fotos von damals veröffentlicht?«
»Nein. Ich wollte auf die Walpurgisnacht warten. Das ist einfach das prominentere Fest.«
Wir beobachteten die Hexen weiter. Irgendwann hörten sie auf mit ihrem ekstatischen Tanz, und es war ganz plötzlich still. Das Feuer war etwas heruntergebrannt. Eine der drei Frauen holte von irgendwoher einen langen Holzstab und ritzte damit eine Furche in den Boden, die sich weit um das Feuer herum erstreckte.
Als sich die Frau unserem Versteck näherte, erkannte ich, daß es Morgana war. Kaum war sie wieder am Anfang des Kreises angekommen, warf sie den Stab weg, erhob die Arme und rief etwas in die Dunkelheit. Ich konnte es nicht verstehen, aber ich war sicher, es kamen Wörter wie »Mutter« und »Erde« darin vor. Als sie ihre Anrufung beendet hatte, gab es eine kleine Pause. Alle drei warfen etwas in das Feuer; es wurde plötzlich wieder heller, und mit dem Aufflackern schlugen sie wieder auf die Tamburine.
Diesmal war es ein anderer Rhythmus. Die drei Frauen bewegten sich vorsichtiger - anscheinend wollten sie den gezogenen Kreis nicht überschreiten. Morganas haarloser Schädel wirkte gespenstisch in der bizarren Beleuchtung.
»Sieht schlecht aus mit Ihrer Katharina. Sie scheint nicht dabeizusein.«
»Wir hätten es ahnen können«, sagte Jutta. »Sie haben sie nicht in ihren Kreis aufgenommen.«
»Kann ich mal Ihre Taschenlampe haben?« fragte ich Bruchmann.
»Was wollen Sie denn damit?«
»Werden Sie schon sehen. Also - bekomme ich sie?«
»Sie können sie jetzt nicht benutzen. Viel zu gefährlich.«
»Nur für den Notfall. Ich will mich mal etwas umsehen. Nur das Gelände
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