Flammentod
drückte eine Türklinke hinunter; es war abgeschlossen. Die anderen Türen auch. Soweit ich sehen konnte, gab es im Inneren keine Akten oder ähnliche Unterlagen, dafür aber jede Menge leere Regale. Ich hätte gern mal einen Blick in Diepeschraths Papierkram geworfen. Wenn sich das Zeug nicht hier an der offiziellen Firmenadresse befand, dann mußte es bei dem Unternehmer zu Hause sein. Vielleicht fand ich ja eine Möglichkeit, in das Haus in der Parkstraße zu kommen.
Ein Hund bellte. Es war ziemlich nahe. Kurz darauf waren knirschende Schritte zu hören. Ich drehte mich um und sah einen Mann, der hinter einer der langgezogenen Garagen hervorkam. Er führte einen Schäferhund an der Leine.
»He - was wollen Sie hier?« rief er.
Ich gab mich gelassen. »Ah, da ist ja doch jemand«, sagte ich jovial. Ich ging auf den Mann zu. Der Hund begann wieder zu bellen.
»Still«, rief der Mann.
Ich war höflich und hielt ihm die Hand hin. Er guckte verwirrt. Ich schätzte, es war einer von Diepeschraths Arbeitern. Er trug eine blaue Maurerhose und ein schwarzrotgewürfeltes Hemd. Ich roch eine deutliche Bierfahne und spürte, wie mich leichte Übelkeit anflog. Um elf Uhr vormittags war es für so was eindeutig zu früh.
»Guten Morgen«, sagte ich.
»Morgen.« Er nickte kurz.
»Vielleicht können Sie mir helfen. Ich habe da einen Tip gekriegt, wissen Sie, wegen dem Office Equipment hier.«
»Wegen was?«
»Office Equipment - ich meine die Büroeinrichtung.«
Er nickte wieder, schien aber immer noch nichts zu verstehen.
»Man sagte mir, die Firma hier würde ihre Büromöbel und so weiter verkaufen. Und da wollte ich natürlich der erste sein, ist doch klar, oder?«
Er kratzte sich mit der einen Hand am Kopf. Mit der anderen hatte er die Leine gelockert. Der Hund hatte sich hingesetzt, ließ hechelnd die rosa Zunge heraushängen und sah mich freundlich an.
»Sie meinen, das wird alles verkauft?« Der Mann blickte ungläubig in die Runde, als würde er das Firmengelände zum letzten Mal begutachten.
»Nicht das Grundstück. Darüber weiß ich nichts. Nur die Schreibtische da aus den Containern. Und die Schreibmaschinen und so. Ich würde das gern gebraucht aufkaufen, wenn das ginge. Hier arbeitet doch keiner mehr, oder?«
Er schüttelte den Kopf. »Nee, schon ‘ne ganze Weile nicht mehr. Ich bin als einziger übrig.«
»Keine Aufträge mehr«, stellte ich fest.
»Kann man sagen. Alles scheiße, sage ich Ihnen. Irgendwie hat’s der Chef aber auch schleifen lassen. Und jetzt - wo diese schreckliche Sache passiert ist…«
Ich nickte. »Habe ich gelesen. So bin ich auch drauf gekommen. Wird ja sicher nicht mehr gebraucht, das Zeug. Kann man ja nicht verkommen lassen.«
»Da sagen Sie was. Ist ja noch gut.«
»Dann sind wir uns also einig. Und? Wie ist es nun damit?«
Er machte ein ratloses Gesicht. »Ich weiß davon nichts. Vielleicht ruf ich mal den Chef an.«
»Wer ist denn jetzt der Chef?«
»Der Bruder vom Chef ist jetzt der Chef«, erklärte er.
»Rudolf Diepeschrath.«
»Genau. Und der war sowieso zum Schluß mehr hier als der Chef - also als der Chef, der vorher der Chef war, meine ich. Kommen Sie mit nach hinten. Da ist ein Telefon.«
Er wandte sich zu den Garagen. Der Hund sprang sofort auf. Wir gingen ein Stück auf die hohen Tore zu.
»Und was ist mit der Chefin?« fragte ich. »Ich meine, mit der Frau vom Chef?«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Der Chef hat keine Frau. Der ist ledig.«
»Ich denke, der hat eine Frau und einen Sohn? Stand jedenfalls in der Zeitung.«
»Ach so, Sie meinen den alten Chef. Ja, der hatte eine Frau. Und einen Sohn auch. Der Sohn hat sogar mal hier gearbeitet.«
»Und warum tritt er das Erbe nicht an? Er könnte doch vielleicht die Firma wieder hochbringen!«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nee, nee. Der war nicht so begabt. Hatte zwei linke Hände. Stand eigentlich nur im Weg rum. Liest lieber Bücher, statt zu arbeiten, wenn Sie verstehen, was ich meine. Außerdem -« Er blieb stehen, sah mich an und dämpfte seine Stimme. »Der ist nicht ganz echt.«
»Nicht ganz echt?«
»Bei dem müssen Sie im Winter den Kühlschrank anschalten.« Er brach in schallendes Gelächter aus und klopfte mir mehrmals auf die Brust. Der Hund bellte. Offenbar fand er sein Herrchen wahnsinnig witzig.
Wir gingen an der Mauer der Garage entlang. Als wir auf die Rückseite gelangten, kriegte sich der Mann langsam wieder ein. Mitten durch das Brachland führte zwischen Büschen
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