Flammentod
staunte ich, aber Theresa schüttelte den Kopf.
»Über dem Herd fehlt noch die Dunstabzugshaube. Da muß ich noch die Wand durchbrechen und alles montieren. Das ist aber heute abend auch fertig. Dann können wir Einweihung feiern.«
Der Tisch war wie gestern einladend gedeckt, ich war jedoch etwas früher aufgestanden. Immerhin hatte ich um halb elf einen Termin bei Vogt. Und vorher wollte ich mir noch das Bauprojekt an der Gierather Mühle ansehen.
»Na, was hast du rausgekriegt?« fragte Theresa, als wir Platz genommen hatten. Sie goß mir Kaffee ein, ich schnitt voller Vorfreude ein frisches Brötchen auf.
»Dies und das. Du hast mir doch erzählt, daß hier in der Nähe gebaut wird. Ich sehe mir das mal an.«
»Viel Vergnügen. Da hinten ist ganz schön was los. Wenn du übrigens Gladbacher Bauskandale sammelst, darfst du dir das Gladium nicht entgehen lassen.«
»Das was?«
»Das Gladium. Mach dir den Spaß und geh zum Bahnhof. Das ist die Endhaltestelle der S-Bahn aus Köln. Wenn du dort aussteigst, kommst du dir vor wie auf einem Trümmergrundstück drei Tage nach dem Zweiten Weltkrieg.«
»Bauen Sie da auch was?«
»Sie wollten. Ein glamouröses Kinocenter, und der Bahnhofsbereich sollte auch verschönert werden. Immerhin ist das ja sozusagen die Visitenkarte der Stadt. Der erste Eindruck, du weißt schon.«
»Was heißt: Sie wollten bauen?«
»Sie haben angefangen, die Erde umzupflügen, und dann haben sie plötzlich gemerkt, daß es statische Probleme auf dem Grundstück gibt. Die Bauerei hatte erst mal ein Ende, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Mittlerweile sind sie auf den Trichter gekommen, daß sich nach neuesten Marketinganalysen ein Kino gar nicht lohnen würde, weil ja Köln vor der Tür liegt. Alles schreit also: Hurra, wie gut, daß wir noch immer nichts gebaut haben, denn dann hätten wir ja jetzt eine Kinobauruine!«
»Klingt nicht sehr nach professioneller Stadtplanung.«
»Die Geschichte geht noch weiter. Zwischendurch kam die Anregung, einen Park daraus zu machen.«
»Nicht schlecht.«
»Damit ist es aber auch wieder Essig, denn der bringt ja kein Geld. Die neueste Idee ist nun, ein Warenhaus zu bauen.«
»Das scheint mir vernünftig zu sein. Das ist doch bestimmt beständiger als ein Kino.«
»Denkst du! In letzter Zeit geht’s dem Einzelhandel in der Hauptstraße nicht besonders. Ein C&A hat gerade dichtgemacht. Und bis wir das Warenhaus haben - so in fünf, sechs Jahren -, kauft vielleicht jeder seinen Kram lieber im Internet.«
»Das Bauen in dieser Stadt steht sozusagen auf wackligem Boden«, stellte ich fest.
Sie nickte. »So kann man es auch nennen. Und eines ist sicher: Erholung im Park kann man nicht im Internet kaufen. Das wäre bestimmt eine weisere Entscheidung gewesen.«
Eine halbe Stunde später bog ich in eine Straße ein, die »Gierather Mühlenweg« hieß. Auf der linken Seite grenzte der Gehsteig an eine große Weide, auf der ein paar Pferde neugierig die Köpfe hoben, als ich vorbeifuhr.
Hundert Meter weiter endete die Straße auf einer kleinen Kreuzung. Sie sah wie ein Dorfplatz aus, von dem mehrere Sackgassen abzweigten. Doch die Idylle war gestört: Alles war von Autos zugeparkt. In der Enge war an Wenden nicht zu denken. Zusätzlich verschmälerte sich die Straße vor mir zu einem Nadelöhr zwischen einer Hecke und einem winzigen Fachwerkhäuschen, dessen helle Flächen in schönem Weiß erstrahlten - offenbar war es gerade restauriert worden. Auf dem Haus thronte ein dickes Strohdach. So etwas hatte ich im Bergischen Land noch nie gesehen. Gehörten Strohdächer nicht eher nach Norddeutschland?
Hinter der Verschmälerung wurde gebaut. Baukräne ragten auf, und ich konnte die Rückseite eines Lkw sehen. Der ganze Bauverkehr war anscheinend an dem unschuldigen kleinen Fachwerkhäuschen vorbeigeschrammt.
Plötzlich ertönte ein tiefes Hupen. Ich blickte in den Rückspiegel. Ein Tieflader kam den Mühlenweg entlanggerollt. Ich legte den Rückwärtsgang ein und verfrachtete den Golf in eine der abzweigenden Straßen, die von moderneren Einfamilienhäusern gesäumt wurde.
Diese Siedlung hatte also Diepeschrath vor Jahrzehnten gebaut. Ich ging zu Fuß zum Gierather Mühlenweg zurück und sah mir an, was sich heute hier auf dem Bausektor tat. Der Tieflader schob sich gerade gnadenlos in Richtung des Nadelöhrs und wirkte dabei wie ein Wal in einer Badewanne. Schließlich hielt er neben dem strohgedeckten Häuschen. Der Fahrer stieg aus;
Weitere Kostenlose Bücher