Flammenzorn
Eine junge Frau mit Einstichen am Arm übergab sich in einen Mülleimer. Eine Mutter brüllte ihren Sohn an, der sich eine Murmel in die Nase geschoben hatte, und drohte damit, die Murmel aus ihm herauszuprügeln. Ein Mann im Anzug starrte mit leerem Blick auf den Fernseher des Wartebereichs, in dem eine Seifenoper lief. Er war an einer fahrbaren Krankentrage festgeschnallt, und seine Hände waren mit dicken Mullbinden bandagiert.
Diese Dinge beunruhigten Anya jedoch nicht annähernd so sehr, wie der halbdurchsichtige Geist einer älteren Dame mit einer Schüssel Götterspeise auf dem Kopf. Sie stand am Informationsschalter, brüllte Anya an und schüttelte vor Zorn ihre zierlichen Fäuste. Sie trug pinkfarbene, flauschige Socken und einen Krankenhauskittel, der hinten offen war und ihre Gesäßbacken bloßlegte, die nahezu bis in ihre Kniekehlen hingen.
Sie zeigte mit dem Finger auf Anya und heulte: »Das ist sie! Das ist die Schwester, die meine Zigaretten geklaut hat!«
Anya war fest entschlossen, nicht auf den Geist zu reagieren. Sie schritt bedächtig zum Informationsschalter und sprach mit der Angestellten. »Ich möchte bitte zu Steve Neuman.«
»Tut mir leid«, sagte die Frau, während sie in den Seiten auf ihrem Klemmbrett blätterte. »Er ist auf der Station für Brandopfer und darf keinen Besuch empfangen. Gehören Sie zur Familie?«
Anya zeigte ihre Marke vor. »Ich gehöre zum DFD. Ich verspreche Ihnen, es wird nur ein kurzer Besuch.«
»Warten Sie ...« Die Frau drückte einige Tasten auf dem Telefon.
»Sie hat meine Zigarren geklaut! Schlampe!«
Anya bemühte sich weiterhin tapfer, die Alte zu ignorieren. Die beugte sich nun über den Schalter und verrenkte sich den Hals, um sie mit ihren glänzenden Vogelaugen anzustarren.
»Geben Sie sie wieder her!«
Sparky näherte sich der alten Frau und biss ihr in den Fuß. Die Alte zuckte zurück und stürzte dann mit verdrehten Gliedmaßen zu Boden. Der Saum ihres Krankenhauskittels flog ihr über den Kopf, und sie kreischte irgendein zusammenhangsloses Zeug. Aus dem Augenwinkel sah Anya, wie Sparky mit einer pinkfarbenen Socke im Maul davonsprang. Sie presste die Lippen aufeinander und zwang sich, sich nicht umzudrehen. Stattdessen beugte sie sich über den Tisch und schirmte ihre Augen mit einer Hand vor der Nacktheit der alten Frau ab. Deren Schreie erregten nun jedoch die Aufmerksamkeit anderer Erscheinungen: Das Phantom eines Teenagers, dessen Brust voller Einschusslöcher war, trat durch eine Wand und musterte Anya von Kopf bis Fuß.
»Hey, Prinzessin.«
Anya ignorierte auch ihn und konzentrierte sich mit aller Kraft auf die Angestellte, die hinter dem Schalter telefonierte. Sie hatte unglaublich lange, mit einem kunstvollen Airbrush-Motiv verzierte, künstliche Fingernägel. Anya fragte sich, wie sie mit diesen rosaroten Dolchen, die an ihren Fingern klebten, tippen konnte.
»Bist dir wohl zu fein, was?«
Anya grübelte weiter über die Fingernägel der Frau nach und wünschte sich, sie würde sich verdammt noch mal beeilen.
»Hey, ich rede mit dir.« Der Geist versuchte erfolglos ihren Arm zu packen, und sie fühlte einen kalten Luftzug.
Schließlich drehte sie sich um und bedachte ihn mit einem finsteren Blick.
»Lächeln, Baby. Hübsche Mädchen wie du sollten immer lächeln.« Der Bursche grinste und zeigte ihr seine maßgefertigte goldene Zahnfront. Er stützte sich auf den Empfangstresen, und seine herabhängende Hose legte definitv zu viel Haut frei. Anya verdrehte die Augen. Wäre er lebendig gewesen, hätte sie ihm geraten, seinen Arsch zurück in die Schule zu bewegen, aber nun hatte das keinen Sinn. Es war sein Schicksal, in der Notaufnahme herumzuhängen und Mädchen anzubaggern. Sie fragte sich, ob es hier auch Geistermädchen in seinem Alter gab, oder ob die verrückte Götterspeisenfrau seine einzige Gesellschaft war.
»Sie können zu ihm«, sagte die Angestellte nun gnädig. »Er ist in Zimmer 7A. Der hintere Bereich. Sie können ihn nicht verfehlen.«
»Vielen Dank.«
Aus dem Augenwinkel sah Anya, wie der Teenager zu dem Mädchen hinüberschlenderte, das sich in den Mülleimer übergeben hatte, um dort sein Glück zu versuchen. Das Mädchen würde zwar nicht mitbekommen, dass er da war, aber der Junge konnte jede Übung im Frauen ansprechen brauchen, die er in seinem Leben nach dem Tod bekam.
Anya ging leise den Korridor hinunter. Sie wusste nicht, wo Sparky hingerannt war, hoffte aber, dass er nicht bei irgendeinem
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