Flammenzorn
werfen. Wie hört sich das an?«
Anyas Magen knurrte. »Was gibt es denn?«
Katie grinste. »Matzeknödel-Suppe.«
»Genug geredet. Ich werde da sein.« Anya rutschte von ihrem Hocker und warf noch einen sehnsüchtigen Blick auf die Kiste mit den Marzipanfiguren. »Kann ich noch einen Bräutigam für den Weg mitnehmen?«
Katie fischte einen aus dem Karton. »Nimm diesen. Ich hatte mich über die Konsistenz geärgert und ihn nach Munchs Der Schrei modelliert.«
Anya betrachtete die geschmolzen aussehende Figur in ihrer Handfläche: Die Hände waren an den Kopf gepresst, das Gesicht mit dem offen stehenden Mund zu einem Ausdruck des Schreckens verzerrt. Quer über der Brust standen mit Zuckerglasur geschrieben die Worte: »Iss mich.«
Das war etwas, was sie nicht überfordern würde. Anya verschlang den Bräutigam mit drei Bissen. Und zur Abwechslung bereitete ihr dieses Verschlingen ein Gefühl der Wärme und Befriedigung.
Gewisse Orte wurden stets heimgesucht.
Es gibt Gebäude, die die Toten magnetisch anzogen. Man konnte zum Beispiel darauf wetten, dass sich in einem einigermaßen ordentlichen Museum ein oder zwei ruhelose Geister herumtrieben: Die Geister von Künstlern hielten manchmal an ihren kreativen Arbeiten fest, und natürlich gab es da noch all die Urnen und Gebeine Verstorbener. Als Kind war Anya bei einem Schulausflug davon überzeugt gewesen, der Geist eines Dinosauriers streife durch die Korridore des Smithsonian. Kerker und Gefängnisse waren bei Geistern ebenfalls beliebt: Dort gab es immer Insassen, die ermordet worden waren oder sich selbst getötet hatten und die dazu neigten zu verweilen - im Tod so sicher eingesperrt wie im Leben. Auch in Altenheimen hausten viele Geister, die noch immer ihren täglichen Aktivitäten nachgingen und auf den Fernseher starrten, so als hätte sich nichts geändert. Diese Geister schienen in einer Endlosschleife festzustecken - meistens spielten sie Seite an Seite mit den lebenden Bewohnern Bingo. Anya hegte den Verdacht, dass die meisten von ihnen gar nicht wussten, dass sie gestorben waren.
Krankenhäuser jedoch waren die Orte, die am schlimmsten heimgesucht wurden. Anya mied sie, soweit es ihr möglich war. Das fluoreszierende Licht, das vierundzwanzig Stunden am Tag brannte, der Bleichmittelgeruch, die hastigen Bewegungen der Lebenden: Das alles half nicht dabei, die verwirrten Seelen zu verscheuchen, die auf der Suche nach einer Toilette oder einer Person durch die Korridore wanderten.
Im Parkhaus des Detroit Receiving Hospitals umklammerte Anya nun das Lenkrad ihres Wagens und redete sich Mut zu. Sie verschlang einen Geist nur dann, wenn sie keine andere Wahl hatte. Aber an solchen Orten benahmen sich die Geister bisweilen recht schlimm. Sie würde ihren Aufstand ignorieren müssen, den sie machen würden, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen.
Sie kletterte aus dem Ford Dart und knallte die Tür zu. Das kraftvolle Geräusch hallte wie eine lautstarke Aufforderung durch das große, höhlenartige Parkhaus, und Anya hätte schwören können, dass sie irgendwo unter sich ein Rascheln hörte. Der Salamander an ihrem Hals wurde wärmer. Sie spürte, wie Sparky sich regte und die Ohrkiemen aufstellte. In diesem Fall würde ihr geisterhafter Begleiter den stillen Beifahrer spielen müssen; obwohl Anya sich nicht vorstellen konnte, dass Sparky es lassen würde, all den fremden Geistern nachzuschnüffeln und die kostbaren elektronischen Geräte anzuknabbern.
Er löste sich von ihrem Hals, glitt über ihren Rücken und nahm am Boden des Parkdecks Gestalt an. Züngelnd blickte er zu ihr auf.
»Sei ein guter Junge, Sparky«, murmelte sie. »Ich arbeite, also halte dich zurück.«
Anya drehte sich um und ging in Richtung der Fahrstühle. Sparky hielt Schritt. Mit schwingender Hüfte lief er gehorsam neben ihr her. Er gab sich wirklich Mühe, sich gut zu benehmen. Wie lange er durchhielt, würde sie später sehen.
Sie betrat den Fahrstuhl und drückte den Knopf für das Erdgeschoss. Sparky richtete sich auf und leckte an dem schmutzigen Knopf. Das Licht dahinter wurde etwas schwächer.
»Sparky«, zischte sie.
Sparky klappte seine fedrigen Ohrkiemen zurück und legte den Kopf beschämt auf seine Vorderpfoten.
Die Tür öffnete sich im Empfangsbereich der Notaufnahme, und Anya stöhnte innerlich auf. Der Vorraum war voll von lebenden Patienten, die auf Stühlen oder Rollstühlen saßen, und von Ärzten und Schwestern, die gelassen zwischen ihnen umherliefen.
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