Flammenzorn
leidgetan hat. Ich habe sie in die Arme genommen, und da habe ich etwas gefühlt ... ein Loch, das sich in meiner Brust öffnete ... und sie hat es ausgefüllt. Und dann war sie weg. Ich habe sie nie wieder gesehen.
Ich habe meine Mutter gefragt, was passiert ist. Sie ist ganz blass geworden. Ich weiß noch, dass sie vor mir in die Knie gegangen ist und mir gesagt hat, dass ich das nie wieder tun darf.« Anya rieb sich die Arme. »Sie hat mich so fest geschüttelt, dass ich dachte, mir würden die Zähne ausfallen. Sie schien furchtbare Angst zu haben, dass etwas Schlimmes passieren könnte.
Also habe ich mein Bestes gegeben, um die Geister zu ignorieren. Ich habe den Geist der Bibliothekarin in der Bücherei ignoriert, als er er mich fragte, was ich gern lesen möchte. Ich habe nicht mit dem Geist von dem Mann gesprochen, der für Geld an der Straßenecke sang. Ich habe mich darin geübt, immer zu Boden zu schauen, wenn wir am Friedhof vorbeigefahren sind, nur damit ich nicht sah, wer da zwischen den Grabmälern herumspazierte.
Ich weiß, dass meine Mutter sie auch gesehen hat. Ich erinnere mich daran, wie sich einmal in der Kirche der Geist eines jungen Priesters neben uns gesetzt hat. Er hat sie beobachtet ... und sie hat stur geradeaus geschaut und überallhin, nur nicht zu ihm. Ich habe damals nicht verstanden, wie sie das tun konnte, aber ich glaube, heute verstehe ich es. Sie hatte Angst. Angst, sich die Anwesenheit all dieser Geister um uns herum einzugestehen. Angst, dass sie irgendwann unser Leben beherrschen würden.
Sie hat versucht, ein möglichst normales Leben für uns zu schaffen. Beispielsweise hat meine Mom jedes Jahr einen Weihnachtsbaum für uns geholt ... das war für mich die schönste Zeit im ganzen Jahr. Aber meine Mom hat immer darauf bestanden, dass wir die Lichterkette vor dem Schlafengehen aus der Steckdose ziehen. Damals habe ich das für ihr übliches, neurotisches Getue gehalten.
Im reifen Alter von zwölf Jahren wusste ich natürlich alles besser als meine Mutter, also habe ich mich nachts die Treppe hinuntergeschlichen und die Weihnachtsbaumbeleuchtung angeschaltet. Sparky und ich haben uns vor dem Baum ausgestreckt und dem Schnee vor dem Wohnzimmerfenster zugesehen. Das war wirklich wie im Märchen ... ich erinnere mich noch an die pulsierenden Lichter hinter meinen geschlossenen Augenlidern. Und an Sparky, der neben mir geschnarcht hat.
Ich bin aufgewacht, als Sparky mit den Zähnen am Kragen meines Nachthemds zerrte. Der Rauchmelder war losgegangen. Der Weihnachtsbaum stand in Flammen, und Sparky versuchte, mich aus dem Haus zu zerren. Ich habe nach meiner Mutter geschrien, aber da war so viel Feuer und Rauch; ich konnte die Treppe kaum sehen.
Ich weiß noch, wie die Feuerwehr die Haustür aufgebrochen hat und wie ich raus in den Schnee getragen wurde. Der Schnee war so friedlich, und er fiel so sanft auf das riesige Feuer hinab - auf dieses Haus voller Flammen, in dem ich einst gelebt hatte.«
Tränen rannen an ihrer Nase herab. Ciro reichte ihr ein Taschentuch.
»Es hat sich herausgestellt, dass das Feuer durch einen Kurzschluss in der Lichterkette ausgelöst worden war. Mom hatte recht gehabt. Sie haben sie am Kopf der Treppe gefunden, tot durch Rauchvergiftung.« Anyas Finger fuhren über den Reif an ihrem Hals. »Das Jugendamt hat mich zu meiner Tante und meinem Onkel geschickt, die ein paar Blocks entfernt wohnten. Sparky ist mitgekommen, aber ich habe ihnen nie von ihm erzählt. Sie hätten es einfach nicht verstanden.«
Anya verfiel in Schweigen. Über das Geschehene zu sprechen hatte die alten Wunden wieder aufgerissen, und sie schmerzten von Neuem. Ciros Finger streiften ihren Ellbogen.
»Es war nicht dein Fehler.«
Sie verzog das Gesicht. »Natürlich war es das. Ich ...« Sie blickte zu Sparky hinab. Sparky war so gut wie unzerstörbar. Ihn durfte sie lieben. Er war immer da gewesen ... aber andere Menschen schienen für sie zu zart und verwundbar zu sein. Und Ciro so zu sehen - ausgezehrt und schwach - machte sie noch vorsichtiger, was die Nähe zu ihm betraf. Sie fürchtete, sie könnte ihn zerstören. Jeder schien früher oder später an ihr kaputtzugehen, und sie wollte sich nicht noch einmal die Schuld daran geben müssen.
»Nein, das war es nicht«, sagte Ciro so streng wie bestimmt und griff beherzt nach ihrer Hand. »Du warst ein Kind. Es war ein Unfall.«
Anya starrte zur Decke und blinzelte ihre Tränen weg. Sie wusste nicht, warum das alles vor
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