Flammenzorn
zwinkernder Totenschädel zurückgehalten. Am unteren Rand war das Foto mit einem Schriftzug versehen: Chloe - Alter: 15. Nicht alt genug, um Autofahren zu dürfen, aber alt genug, um es unbedingt zu wollen.
Doch was Anya festhielt, war der Ausdruck in den Augen des Mädchens. Chloe sah nicht aus wie ein Kind, das sich gegen die Autorität der Eltern auflehnt. Der Ausdruck in diesen dunklen Augen war viel finsterer, viel älter ... solch einen Ausdruck hatte Anya bisher nur bei Statuen gesehen. Die Augen sahen alt aus und so unnachgiebig wie Stein.
»Wurde sie schon von einem Psychiater untersucht?«, fragte Anya.
»Ja«, sagte Jules. »Der Schulpsychologe hat sie überwiesen. Zuerst hat man bei ihr eine bipolare Störung diagnostiziert - der Psychiater dachte, sie täte das nur, um Aufmerksamkeit zu erregen. Die Eltern konnten sie nicht dazu bringen, das Lithium zu nehmen. Und als sie ihr Hausarrest gaben, hat sie das Fenster in ihrem Zimmer zertrümmert und ist im Krankenhaus gelandet. Dort wurde die Diagnose geändert: akute Schizophrenie. Sie hat so viele Stimmen gehört, dass sie ruhiggestellt werden musste. Jetzt bekommt Chloe einen netten Cocktail aus Haldol und Risperdal. Die Eltern haben Angst davor, sie in einer psychiatrischen Anstalt unterzubringen. Sie befürchten, dass es noch schlimmer werden könnte.«
Anyas Finger fuhren über den Rand des Bildes. Chloe war ein hübsches Mädchen. Würde man sie in ein staatliches Irrenhaus zu einem Haufen instabiler Erwachsener stecken, würde es für sie ganz bestimmt noch erheblich schlimmer werden.
»Sie ist süß«, stellte Max fest, der ihr Foto mit ausgestrecktem Arm vor sich hielt. »Auf eine pseudogruftige Art, wie eins dieser Kids im Einkaufscenter.«
»Ganz ruhig, Junge«, knurrte Jules. »Zielpersonen sind tabu. Grundsätzlich.«
»War sie sich selbst oder anderen gegenüber je gewalttätig?«, fragte Katie.
»Bis jetzt hat sie nur leblose Gegenstände kaputtgemacht. Ihre Eltern haben ihr Zimmerfenster zugenagelt und schließen sie nachts ein. Sie sagen, sie wandert die ganze Nacht im Zimmer umher wie ein Tier im Käfig. Morgens ist sie ruhiger, aber sie isst nicht und schläft nicht.«
»Hat sie irgendetwas gesagt? Irgendetwas, das Sinn ergibt?« Bei Fällen wie diesen wusste man nie. Das Opfer konnte absoluten Unsinn verzapfen, es konnte aber auch vollkommen klar sein und ganze Passagen in einer fremden Sprache herunterleiern. Manchmal ließen sich aus den Äußerungen Rückschlüsse auf das Wesen ziehen, das in dem Opfer saß.
»Sie droht, das Haus niederzubrennen.«
Anya presste die Hand an die Stirn. »Kann ich nicht mal eine Nacht erleben, in der niemand davon besessen ist, irgendeinen Scheiß abzufackeln? Bitte!«
»Das ist Detroit, Baby.« Max lehnte sich zurück und legte die Füße auf den Tisch. »Wir haben einen Ruf zu verteidigen.« Jules versetzte ihm einen Schlag an den Hinterkopf, und im Nu standen die Füße des Jungen wieder auf dem Boden.
Anya schnitt ihm eine Grimasse. »Also, Jules, wie sieht der Schlachtplan aus?«
»Chloe weiß nicht, dass wir kommen. Wir bringen Mom und das kleine Mädchen aus dem Haus; Dad ist bei einem Verkaufsgespräch außerhalb der Stadt. Wenn der Dämon freikommt, soll er sich nicht auf das jüngere Mädchen stürzen können. Wir werden versuchen, ihn aus der älteren Tochter auszutreiben.«
Katie spielte mit düsterer Miene an ihren Armreifen. »Das übernimmt normalerweise Ciro.«
»Ciro ist außer Dienst, also ist das Schutzritual deine Sache. Max und ich werden das Kind bändigen, sollte das notwendig sein. Brian übernimmt die Technik. Anya ...« Nun sah er sie direkt an. »Anyas Aufgabe wird es sein, den Dämon zu verschlingen.«
Anya starrte auf ihre Hände. Geister waren üblicherweise leicht zu konsumieren; sie gingen runter wie ein kaltes Bier an einem Sommernachmittag, und der scharfe Beigeschmack schwand schnell. Dämonen waren eine viel heiklere Sache; sie hatten meist eine größere Macht und einen stärkeren Willen - und sie leisteten mehr Widerstand. Aber Anya hatte nie Schuldgefühle empfunden, wenn es darum ging, einen Dämon zu verschlingen. Dämonen waren nie menschlich gewesen. Deshalb geriet sie nicht in diesen ethischen Konflikt, der stets damit verbunden war, einen Geist zu fressen. Ein Dämon war das reine Böse, und die Konsequenz war eindeutig. Schwarz gegen Weiß. Vernichte den Dämon, ehe er jemand anderen vernichtet.
Leider machte diese simple moralische
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