Flammenzorn
Geplapper über sich hinwegrauschen, als sie die ersten Bilder der Serie, Blaupausen eines fremdartigen Plans für die Innenstadt von Detroit, betrachtete. Beinahe sämtliche Gebäude aus den vergangenen fünfzig Jahren waren fort, ersetzt durch neue Bauwerke, die sich scheinbar nahtlos in die Architektur der 1920er einfügten - eine Art Wiederbelebung der ästhetischen Blütezeit Detroits, eine Rückkehr in die goldene Zeit der Stadt. Sie konnte nicht alle Einzelheiten in Ferrers Skizzen erkennen; einige der Casinos waren fort. An ihrer Stelle sah sie etwas, das aussah wie Wohngebäude in leuchtend bunten Farben.
Ferrer beschränkte sich jedoch nicht auf die Architektur. Einige seiner Zeichnungen zeigten Bäume, schlangenlinienförmige Parklandschaften, die sich um bereits existierende und neue Gebäude herumwanden. Fußgänger schlenderten über Bürgersteige, gesäumt von Läden und Restaurants. Wenn sie genau hinsah, konnte sie erkennen, dass Ferrer seine Figuren mit einem Kleidungsstil kostümiert hatte, der an das alte Detroit erinnerte ... Sie sah sogar ein paar typische Jazz-Age-Fransen unter dem Rocksaum einer Frau hervorlugen.
Es war, als sähe sie die alte und die neue Welt zugleich vor sich. Und statt miteinander zu konkurrieren, gingen Vergangenheit und Zukunft nahtlos ineinander über. Elemente des klassischen Art-déco-Stils waren tonangebend in seinen Entwürfen: die geometrischen Formen, die Andeutung altägyptischer, stilisierter Blumen und anderer Motive. Es war leicht, eine Vorstellung davon zu entwickeln, wie Ferrer auf das Symbol der gehörnten Viper gestoßen sein mochte - seine Zeichnungen waren durchdrungen von Reminiszenzen an Pyramiden, die zum Himmel emporstrebten, gekrönt von metallischen Spitzen mit geometrischen Mustern. Seine Gebäude schmückten sich mit Gärten, getüpfelt mit säulenförmigen Plastiken, und die dahinfließenden Stufen seiner öffentlichen Bauten ergossen sich hinaus bis auf die Straßen.
In seiner Vision wurde die Stadt zu einem Tempel eines neuen Zeitalters. Und dieser Anblick war atemberaubend.
Anya bückte sich, um die Daten seines Werkes zu begutachten. Die meisten dieser Skizzen waren schon älter und stammten aus den späten Neunzigern. Das einzige Bild, das aus diesem Jahr stammte, fand sich am Ende der Ausstellung und stellte einen Park im Hafenviertel dar, genau dort, wo heute die Lagerhäuser standen. Es war keine Blaupause, keine Draufsicht und keine schematische Darstellung, sondern lediglich eine einfache Zeichnung. Die Kohlestriche waren noch frisch; Anya konnte das Azeton des Fixiersprays auf dem Blatt riechen, als sie sich näher heranbeugte.
Die Hauptfigur in dem Park war eine Frau, die sich an ein Geländer lehnte und auf das Wasser hinausblickte. Die Frau trug einen langen, dunklen Mantel, und ihr Haar war im Nacken hochgesteckt. Ein Ring in Form eines Salamanders schmückte ihren Hals ... den Hals einer Frau die exakt so aussah wie Anya.
Mimis Stimme meldete sich leise in Anyas Hinterkopf zu Wort. Ich glaube, er mag dich.
Anyas Finger hakten sich in ihrem eigenen Halsreif fest, fühlten, wie Sparky sich auf ihrer Haut regte. Vielleicht spürte Sparky, wenn Mimi sich in ihr rührte.
»Gefällt es Ihnen?«
Anya erschrak. Ferrer stand direkt hinter ihr, einen Schritt zur Seite versetzt, und schaute ihr über die Schulter. Sein Atem bewegte eine Haarsträhne in ihrem Nacken. Anya unterdrückte ein Schaudern, und Sparky knurrte. Ferrer trug einen schwarzen Anzug mit einem weißen Hemd, hatte aber auf eine Krawatte verzichtet. Seine Hände ruhten lässig in seinen Taschen, und er sah aus wie der Inbegriff eines freudlosen, grüblerischen Künstlers.
Mimis Stimme flüsterte ihr ins Ohr: Mjam. Ich glaube, ich mag ihn.
Anya ignorierte sie und musterte Ferrer. »Ist das Ihre Vision der neuen Welt? Der Welt nach dem Feuer?«
Ferrer lachte. »Da Sie unverkennbar nicht verkabelt sind ...« Sein Blick wanderte über ihre nackten Schultern, ihre Arme und über die Spitze an ihrem Korsett, »... kann ich Ihnen sagen: Ja, so ist es. Und Sie sehen ... fantastisch aus.« Er trat einen Schritt zurück, um sie von oben bis unten zu mustern, von ihrem Haar bis zu den Zehenspitzen ihrer Schuhe. »Dieses Kleid ...«
Sie zog eine Braue hoch und erklärte in vollkommen sachlichem Ton: »Danke. Es stammt aus einem Fetischladen.« Doch die Stimme, die aus ihrem Mund erklang, war nicht ihre; es war Mimis. Sie schmeckte wie Holzkohle. Anya biss sich kräftig auf
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