Flammenzorn
»Gierig.«
»Richtig.« Drakes Augen folgten ihrer Hand, aber er sagte nichts dazu. »Die Dämonen folgten ihr, als sie auf Erden wandelte. Ischtar lehnte jeden Menschen ab, den sie als Ersatz für sie vorschlugen, denn sie erkannte Gutes in jedem, den sie traf, und sie konnte den Gedanken nicht ertragen, solch einen Menschen in die Unterwelt zu verbannen.
Schließlich traf Ischtar auf ihren Gemahl Dumuzi, der in ihrer Abwesenheit nicht getrauert hatte. Sie erklärte den Dämonen, sie könnten ihn an ihrer Stelle nehmen. Und so wurde Dumuzi bis auf den Grund der Hölle gezerrt, um dort tot an einem Haken zu hängen zur Strafe für seinen Mangel an Anteilnahme.«
Anya zog eine Braue hoch. »Eine recht außergewöhnliche Göttin.«
»Auf ihre Weise war sie ziemlich skrupellos.« Ein unergründliches Lächeln spielte auf Drakes Lippen. »Aber sie ist nicht das, was ich Ihnen zeigen wollte.«
Er führte Anya zu einer Vitrine mit einer blauen Mosaikfliese. »Das hier ist ein Teil des Ischtar-Tores in den Mauern des alten Babylon, des achten Tores auf dem Weg in das Zentrum der Stadt. Es wurde etwa sechshundert vor Christus von Nebukadnezar II. erbaut. Die Prozessionsstraße führte durch dieses Tor. Es war mit den Symbolen der Tiere geschmückt, die der Göttin geweiht waren: Löwen, Drachen und Stiere. Das ist einer der Sirrush, der Drachen, aus dem Tor. Ursprünglich gab es dort über dreihundert Drachen, einen Repräsentanten für jeden Einzelnen in der alten Welt.
Es gibt eine alte Geschichte mit dem Titel ›Bel und der Drache‹, in der eine dieser großen Schlangen in einem von Nebukadnezar erbauten Tempel beschrieben wird. Der Geschichte nach wurde Sirrush als Gott verehrt.«
Anya beugte sich vor, um das blaue Mosaik genauer zu betrachten. Ein Rand aus roten und weißen Blüten umgab die Gestalt eines goldenen Drachen mit einem langen Schwanz, vier Klauenfüßen und einem sehnigen Leib. Seine Vorderbeine erinnerten an Katzenpfoten, die Hinterbeine verjüngten sich zu Adlerklauen. Hörner krönten seinen Kopf wie den der gehörnten Viper. Sogar in dieser winzigen Mosaikausgabe strahlte Sirrush eine spinnenartige, giftige Anmut aus.
»Das ist die Art von Kreatur, die Sie herzulocken hoffen? Einen Sirrush?«
»Nur eine Kreatur mit dieser Macht ist imstande, diesen Ort von all dem Verfall zu säubern.« Er hatte die Hände zu Fäusten geballt.
Anya berührte ihn am Ärmel. »Ich weiß, was diese Jungs Ihnen angetan haben. Aber das kann nicht die Antwort sein.«
Er schüttelte den Kopf. »Sie verstehen nicht. Ich habe dieser Stadt alles gegeben. Alles. Sie haben mir mein Sehvermögen genommen ... ich kann keine Perspektiven mehr wahrnehmen. Mit einem Auge kann ich nicht einmal mehr die einfachsten Gebäude zeichnen. Alles, was ich habe, sind die alten Pläne, die Sie heute Abend gesehen haben, die, die ich vor dem Überfall angefertigt habe.« Schmerz schnürte seine Stimme ab, und Anya war außerstande, sich auch nur vorzustellen, was ihn der Verlust seines Sehvermögens gekostet haben mochte: seine Lebensgrundlage, seine Leidenschaft ... sie nahm an, es war, als verlöre sie ihren Arm. »Ich kann nur noch zweidimensional zeichnen ... wie ein Kind.
Jetzt ist es Zeit für mich, etwas zurückzufordern«, sagte er, die rechte Hand an den Glaskasten mit der Fliese gepresst. Die Hitze, die von seiner Haut ausging, ließ Wassertröpfchen auf dem Glas kondensieren.
Seine Einsamkeit weckte ihr Mitgefühl. Und sie verstand. Ungebeten tastete ihre Hand nach der seinen, und sie verschränkte auf dem Glasgehäuse die Finger mit ihm. Seine Finger verwoben sich mit ihren, und die Knöchel beider Hände liefen weiß an. Ein Spinnennetz feiner Narben zog sich über seine Hand.
Sie wich zurück. Sie spürte, wie sich Mimis finstere Energie in ihren Eingeweiden regte, wie sich der Dämon an ihrer intuitiven Zuwendung zu Ferrer labte. Wie ein Wurm grub sich Mimi in die kalte Erde, in der sie ihre physischen Sehnsüchte so viele Jahre lang vergraben hatte, und sie fühlte, wie sie wie Grundwasser in ihrer Brust emporquollen und sie mit dem vollends unvernünftigen Bedürfnis fluteten, seine heiße Haut an der ihren zu spüren.
Ferrer zog sie an sich, legte eine Hand in ihren Nacken und die andere mitsamt ihrer an seine Brust. Sparky grollte an Anyas Kehle. Ferrers Atem versengte ihre Wange, und sein Mund senkte sich zu ihren Lippen herab.
Sie wollte sich abwenden, doch die Finsternis in ihren Eingeweiden und ihrer Brust
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