Flandry 2: Höllenzirkus
Sie besitzen. Dominic Flandry indessen hat mächtige Feinde. Schlimmer noch: Sein Mentor Max Abrams hat sie, und man vermutet, dass der Jüngere um die Geheimnisse des Älteren weiß. Der Zerstörer soll ihn zum Hauptquartier schaffen. Die Sondierung wird nur die fleischliche Hülle zurücklassen, der man sich dann wahrscheinlich entledigt.«
»Ach, Nicky«, seufzte Djana, und etwas zerbrach in ihr.
Ydwyr legte ihr die großen Hände auf die Schultern, sah ihr zwingend in die Augen und fuhr fort: »Nachdem meine nachdrückliche Empfehlung verworfen wurde, wäre mein Protest sinnlos. Dennoch respektiere ich den jungen Mann und glaube, dass Sie ihm selbst zugeneigt sind. Was geschehen soll, ist nicht recht, weder für ihn noch für Merseia. Haben Sie gelernt, den sauberen Tod zu ehren?«
Sie richtete sich auf. Ihr Eriau machte es ganz natürlich zu antworten: »Jawohl, Ydwyr, mein Vater.«
»Sie wissen, dass Ihr Interkom mit dem linguistischen Computer verbunden ist, welcher auf einem anderen Kanal Kontakt mit der Expedition hält, die der junge Mann begleitet«, sagte er. »Der Computer protokolliert Gespräche nur, wenn man ihn eigens dazu anhält. Unter dem Deckmantel einer persönlichen Nachricht, wie sie häufig von hier an jene vor Ort ergehen, können Sie ihm sagen, was Sie wünschen. Sie haben sich auf diese Weise bereits ausgetauscht, nicht wahr? Keiner seiner Gefährten spricht Anglisch. Er könnte davongehen – sich ›verirren‹ –, und die Kälte ist ein barmherziger Henker.«
Djana sagte mit der gleichen Festigkeit wie er: »Jawohl, Herr.«
Als sie wieder in ihrem Zimmer war, lag sie eine Zeit lang weinend auf ihrem Bett. Ein Gedanke wollte ihr einfach nicht aus dem Sinn gehen: Er ist gut. Er will nicht zulassen, dass sie meinem Nicky den Verstand auspressen. Kein terranischer Offizier oder Beamter würde sich darum scheren. Doch Ydwyr ist wie die meisten seiner Art. Er besitzt Ehre. Er ist gut.
XV
Der Nebel des Herbstendes hüllte den Berg des Tiefen Donners und das ganze Hochland in feuchtes Grau, welches die Sicht auf wenige Meter begrenzte. Flandry schauderte und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, um das Wasser herauszubürsten. Als er sich bückte und den steinigen, schwitzenden Boden berührte, fühlte dieser sich leicht warm an; hin und wieder spürte Flandry, wie der Grund erschauerte, und dann hörte er den Vulkan grollen.
Seine merseianischen Gefährten gingen geisterhaft vor und hinter ihm den schmalen Pfad bergan. Die meisten von ihnen konnte er nicht sehen, und die Domrath, denen sie folgten, waren vollends im Nebel verschwunden.
Flandry hatte jedoch den Aufbruch der Eingeborenen vom Lager beobachtet und konnte sich vorstellen, wie sie sich mühsam ihren Schlafplätzen näherten: die kräftigsten Männer und ihr Sprecher G’ung zuletzt, denn diese Position war gefährlich, wenn noch wache Sommerraubtiere oder früh erwachte Winterfleischfresser plötzlich zuschlugen. (In diesem Jahr sollte es nicht dazu kommen, was an der Nachhut aus exoplanetarischen Beobachtern lag, die mit Strahlern und Projektilwaffen ausgerüstet waren. Dennoch ließen sich die Gebräuche unzähliger Jahrtausende nicht einfach beiseite schieben.) Die Domrath waren verwundbarer denn je, überlastet vom eigenen Gewicht, kaum noch bei Bewusstsein in der Kälte, die ihnen die Energie aussog.
Flandry empfand Mitgefühl für sie. Wenn er sich überlegte, dass sie noch vor einem Monat Hitzeschutzanzüge hatten tragen müssen! Den Xenologen blieb nur noch so wenig Zeit, dass es sich nicht gelohnt hatte, elektrisch geheizte Kleidung mitzubringen. Um nicht ständig an sein Unbehagen zu denken, rief Flandry sich ins Gedächtnis zurück, was er gesehen hatte.
Die Wanderung vom Ktha-g-klek zu den Gebieten am unteren Ende dieses Pfades, ein wasserreiches Tal am Fuße des Bergs des Tiefen Donners, dessen Spitze es gewaltig überragte. Das Abladen des Nahrungsvorrats, der während des Sommers gesammelt worden war. Das Weben grober Hütten.
Es war die frohe Jahreszeit. Das Wetter war für Talwins Verhältnisse mild. Die tobende Energie, welche die höchsten Temperaturen mitbrachten, wich einer angenehmen Muße. Auch die Intelligenz sank, reichte aber noch für alltägliche Dinge und sogar Rituale. In beschränktem Umfang wurde weiterhin Nahrungssuche betrieben, allerdings mehr oder minder ad libitum. Hauptsächlich nämlich war der Herbst eine einzige lange Orgie. Die Domrath aßen, bis sie praktisch
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