Flandry 2: Höllenzirkus
und in die Schatten darin …
Ein Wirtshaus bei Nacht. Das Feuer springt rot und golden aus dem Kamin, lacht, während es die kameradschaftliche Szene erhellt, roh behauene Möbel, ein Geiger auf einem Stuhl, der sein Instrument stimmt, um zum Tanz aufzuspielen; am anderen Ende des Tisches eine Frau in langem, tief ausgeschnittenem Kleid, die ein Bündel mit einem Säugling auf dem Schoß hält.
Wind. Ein schwarzer Vogel ist plötzlich durch die Fensterscheibe zu sehen. Der Schnabel rattert gegen das Glas.
Abstieg auf endlosen Stufen in der Finsternis, von jemandem geführt, der nie zurückblickt. Das Boot. Der Fluss.
Am anderen Ufer haben sie keine Gesichter.
»Es tut mir leid«, sagte Ydwyr. »Wir bevorraten keine Arzneimittel für Ihre Spezies. Auf Medikamente müssen Sie verzichten. Außerdem ist es Ihnen nicht bestimmt, den Alten Weg bis zum Ende zu gehen – und mir ebenfalls nicht, gebe ich zu. Wir müssen uns mit der wirklichen Welt befassen, und das gelingt uns nicht, wenn wir die Vernunft aufgeben.
Berichten Sie mir Ihre Träume. Wenn sie zu schlimm werden, rufen Sie mich auf meinem Privatanschluss, und ich komme zu Ihnen, egal, wie spät es ist.«
Die Schlange, die das Universum umgürtet, hebt den sternenübersäten Kopf. Das Maul klafft auf. Schrei! Flieh!
Die Windungen zischen ihr hinterher. Der Sumpf haftet an den Füßen. Eine Million Jahre, jeder Schritt ein Jahr im saugenden Schlick, und hinten kommt die Schlange immer näher.
Blitz. Sinken. Schwarzes Wasser.
Bei Nacht in ihrem Zimmer hielt er sie in den Armen, hielt sie nur fest. »Aus meiner Sicht«, sagte er, »erhalte ich unvergleichliche Erfahrung mit menschlichen Archetypen.« Die trockene Sachlichkeit, die an sich schon tröstlich war, wich der Milde. Mit seiner großen Hand strich er ihr übers Haar. »Doch Sie, Djana, sind mehr als ein toter Gegenstand. Sie wachsen mir ans Herz wie ein Kind, haben Sie das gewusst? Ich möchte Sie wieder aufrichten und durch dieses Tal der Schatten führen, das Sie durchqueren müssen, ehe Sie sich aus eigener Kraft behaupten können.«
Zur Morgenwache ließ er sie allein. Sie schlief ein wenig, nahm jedoch am Frühstück und der sich anschließenden planmäßigen Schulung teil. Der Vortrag hinderte Djana nicht, ihren Träumen nachzuhängen.
Draußen schlichen sich die ersten Herbstnebel über die feuchte Erde.
Die Wasser sind friedlich. Träume, döse … nein, die Schlange ist nicht tot.
Die Schlange ist nicht tot.
Ihre Giftzähne. Schlag um dich. Schrei. Das warme Wasser ist fort, mit einem gewaltigen hohlen Brüllen ausgeleert. Hohl, hohl.
Das hohle Getrappel von Hufen, die eine Brücke erschüttern, welche neun tote Könige nicht zum Donnern bringen konnten. Licht.
Die Schlange brennt vor dem Licht rückwärts ab.
Hände heben sich zum Licht. Aber verneigen sich vor seinem Glanz.
Dieser Strahl kommt aus dem Speer des Messias.
»Khraich. Mich würde interessieren, ob an Ihnen eine Abtreibung versucht wurde. Es ist jedoch nicht wichtig, da Sie überlebt haben. Sie müssen nun erfassen, dass Sie damals überlebt haben und es heute ebenfalls können.
Wären Sie heute Abend zu einer weiteren Sitzung fähig? Ich fände es angebracht, wenn Sie zu mir kommen und sich auf den Götzenstein konzentrieren würden. Anscheinend hat er gewisse Gemeinsamkeiten mit etwas, von dem ich gelesen habe. In Ihrem terranischen Sprachgebrauch nennt man es ein … ein Mandala?«
Ein Spiegel.
Das Gesicht darin.
Einer kommt auf lautlosen Sohlen von hinten und hält dem Spiegel einen Spiegel vor.
Endlosigkeit schrumpft zu Nichts.
Im Herzen des Nichts ein weißer Funke. Er strahlt auf, und das Nichts schreckt zurück und flieht nach außen zur Endlosigkeit, während Trompeten triumphieren.
»Är-r-rh.« Ydwyr blickte finster ihre Testergebnisse an. Sie saßen in seinem nüchternen Wohnzimmer – doch was war an seiner genügsamen Klarheit nüchtern zu nennen? »Etwas entwickelt sich, das ist keine Frage. Ein bislang unbemerktes Potenzial – keine Telepathie. Ich hatte gehofft …«
»Der Alte Weg zum Einen«, sagte Djana und beobachtete, wie die Wand sich auflöste.
Ydwyr blickte sie lange starr an, bevor er in forschem Ton erwiderte: »Diesen Weg sind Sie so weit gegangen, wie ich Sie zu führen wage, meine Liebe. Vielleicht nicht weit genug, aber zu mehr bin ich nicht imstande – ich fürchte, niemand Geringerer als Aycharaych könnte Sie noch weiterführen; und auf
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