Flandry 4: Ehrenwerte Feinde
Erstaunen bekundete. »Fühlt Ihr Euch hilflos, Torric? Von Euch hätte ich solche Worte nicht erwartet – von Euch, einem Krieger des Königs, der väterlicherseits von Saagur dem Mächtigen abstammt und mütterlicherseits …« Er ließ seine Stimme verhallen. Torric hatte von jeher gewusst, dass seine Mutter, Pendas zweite Königin, von höherer Geburt gewesen war als die erste.
»Nun … Nun warte!« Unbeholfen legte Torric die Hände um den Kelch. »Du bist ja schon immer so ein Teufelskerl gewesen, aber bist du jetzt vielleicht doch verrückt geworden?«
»Das will ich nicht hoffen. Ich wollte Euch nur daran erinnern, dass Cerdics Macht, wie bei allen Häuptlingen, von denen abhängt, die ihn unterstützen. Sein wichtigster Anhänger ist freilich sein Vater, aber König Penda hat – ohne dass ich respektlos sein will – nicht mehr sehr viele Jahre vor sich. Cerdic ist nicht besonders beliebt. Jemand mit gesetzlichem Anrecht auf den Thron, der diese Jahre damit verbringt, sich im Stillen vorzubereiten, eigene Bünde zu schmieden und Cerdic seine Anhänger abspenstig zu machen …«
Einen Augenblick lang klärte Schock den Blick, mit dem Torric Flandry in die Augen sah. »Willst du mich zum Brudermörder machen?«
»Nein, keineswegs«, widersprach Flandry. Er wusste genau, was in scothanischen Ohren beruhigend klang. »Es ist nur eine Wendung der Ereignisse, die in der terranischen Geschichte immer wieder vorgekommen ist. Und der Spezies als solcher hat es stets genutzt. Nein, ich würde sagen, Cerdic könnte sich in allen Ehren zurückziehen und ein Sonnensystem regieren. Oder Ihr könntet ihm vielleicht sogar zwei zugestehen, denn Ihr seid großzügiger.«
»Aber … diese verschlagene Art … da … davon verstehe ich nichts«, stammelte Torric. »Ich will nicht … Ich meine, du willst ihm seine Verbündeten entfer … entfremden, ihnen mehr versprechen, als er gibt … Das ist doch … Wie heißt das Wort? Das ist nicht frithisch, sondern ilrisch.« Königin Gunli stammte aus Ilrien. »Laionas, richtig, Laionas.« Bestechung. »Das könnte ich niemals. Ich möchte überhaupt nichts davon wissen.«
»Das bräuchtet Ihr auch nicht«, entgegnete Flandry leise. »Die Einzelheiten könntet Ihr Euren Freunden überlassen. Was wäre das für ein Mann, der nie seinen Freunden hilft?«
Graf Morgaar, der die eroberte Welt Zanthudia als Lehen hielt, war ein Adliger von größerem Einfluss, als sein Titel vermuten ließ. (›Graf‹ war nur eine ungefähre Übersetzung.) Er war außerdem bekannt für seine Habgier.
In einem Privathaus, das er für seine Besuche in Juthagaar unterhielt, sagte er zu Flandry: »Terraner, durch deinen Vorschlag, die Steuererhebung zu verpachten, hat sich mein Einkommen mehr als verdoppelt – bis vor kurzem. Jetzt erheben sich die Eingeborenen. Sie ermorden meine Leute; sie verstecken ihr Hab und Gut, und einige haben sich bewaffnet und bekämpfen uns aus dem Hinterhalt. Was unternimmt man im Imperium gegen so etwas?«
»Gewiss, Herr, könntet Ihr sie vernichten«, antwortete Flandry.
»Oh, gewiss, unter großer Anstrengung und zu hohen Kosten. Aber Tote zahlen auch keinen Tribut mehr. Kannst du mir keinen besseren Weg raten, ehe mein ganzes Lehen in Trümmer fällt?«
»Mehrere, Herr.« Flandry legte ihm einige dar: Marionettenkomitees aus Einheimischen zu bilden, durch Propaganda die Schuld auf einen Sündenbock zu lenken, protzig die regierungsamtliche Fürsorge für einige ausgewählte sozial Benachteiligte öffentlich zur Schau zu stellen … Allerdings erwähnte er nicht, dass diese Methoden nur funktionieren, wenn man sie geschickt anwendet.
»Das ist gut«, sagte der Graf schließlich. Forschend sah er Flandry ins lächelnde Gesicht. »Du hast dich bei vielen scothanischen Adligen verdient gemacht, nicht wahr? Wie bei Nartheof; seit er das kaiserliche Arsenal geplündert hat, ist er ein großer Mann. Und es gibt andere, darunter auch mich.« Er rieb sich die Hörner. »Mir scheint jedoch, dass viele dieser Gewinne auf Kosten rivalisierender Scothani und nicht des Imperiums erzielt werden. Ich wundere mich noch immer über Nornagasts Tod.«
»Die Geschichte beweist, dass die Aussicht auf großen Gewinn stets innere Streitigkeiten hervorruft, Herr«, entgegnete Flandry. »Ein starker, tugendhafter Krieger muss oft einen beträchtlichen Teil der Macht für sich selbst gewinnen, damit er sein Volk gegen den gemeinsamen Feind einen kann. Bedenkt, wie die frühen
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