Flandry 6: Schattenwelt
Zorkagrad und im All vorgeht, beunruhigend, beängstigend sogar, und unverständlich, wie ein schlechter Traum. Daher haben wir weiterhin unsere Arbeit getan und darauf vertraut, dass Gospodar Mijatovic und seine Ratsherren das tun, was für Dennitza am besten ist. Gestern Abend hat uns die Nachricht gelähmt, dass er als Verräter verhaftet wurde. Wir hätten verwirrt dagestanden, bis es zu spät gewesen wäre, um etwas zu unternehmen – und das war so beabsichtigt –, wären nicht Kossara Vymezal und Dominic Flandry in unserer schwärzesten Stunde zu uns gekommen.
Der ganze Planet muss sich in ähnlicher Lähmung befinden, und seine Streitkräfte ebenfalls. Was sollen wir tun? Wie lautet die Wahrheit? Wer ist Freund, wer ist Feind? Jeder muss denken, er sollte am besten einige Tage abwarten, bis er Näheres erfährt.
In dieser Zeit kann uns jedoch eine kleine Gruppe von Verrätern in den richtigen Positionen, die ganz genau wissen, was sie wollen, in den Wind führen, und das zu stark, als dass wir noch beidrehen könnten: es sei denn, während dieser Zeit hielten wir, genau wissend, was wir tun, auf sie zu.
Heute treffen sich die Häuptlinge in Novi Aferoch und beschließen einen Kurs für uns. An diesem Morgen hören an der ganzen Obala andere Versammlungen das Gleiche, was ich Euch sage: Steht bereit mit Euren Waffen, sprecht zu keinen Fremden, haltet Euch marschbereit.«
Vater, Mutter, Iwan. Gjorgje. Die kleine, kleine Natalie.
Mihail. Trohdwyr. Und jede Seele, die in unserem Haus starb, jedes Lebewesen, das den Tod fand.
Vater der Schöpfung, in deine Hände befehle ich ihren Geist. Jesus Christus, errette sie. Heilige Maria, tröste sie. Licht des Heiligen Geistes, leuchte für immer über ihnen.
Ich wage nicht, um mehr zu bitten. Amen.
Kossara bekreuzigte sich und stand auf. Der Felsblock, auf den sie niedergekniet war, verbarg Nanteiwon nicht mehr. Das Dorf sah sehr klein aus, weit den Strand hinunter lag es zwischen dem grauen Meer und dem grauen Himmel. Ihre Puppe Lutka und ihre Katze Butterfuß hätten vielleicht Schutz in diesen Häuschen vor dem Wind gesucht, der so kalt, so furchtbar kalt blies.
Eigenartig, dass sie ausgerechnet an sie dachte, deren Verlust zu ihrer Kindheit gehörte, während die meisten ihrer Toten erst vor einem Tag das Leben verloren hatten. Kossara wandte sich vom Dorf ab und ging zum Strand. Der Sand knirschte unter ihren Stiefeln. Manchmal zertrat sie eine Muschelschale oder kam an einem Knäuel Seetang vorbei, der aus den Tiefen gerissen worden war und nun vertrocknete. Nach rechts versperrte eine raschelnde, klappernde Hecke aus Schilf ihr den Blick auf die herbstlichen Felder. Brecher donnerten an Land, liefen aus und zogen sich leer wieder zurück. Der Wind heulte, zerrte an ihr, schlug ihr auf die Wangen und bedeckte ihre Lippen mit einem bitteren Geschmack.
Begreife ich überhaupt, dass sie nicht mehr sind?
Wenn die Dinge nur in Bewegung kämen. Sie mussten Stunden warten, hier, wo es am sichersten war, ehe die Häuptlinge der Ychani sich versammeln konnten. Flandry hatte ihr Medikamente angeboten, damit sie schlafen konnte, ruhig wurde und die Schmerzen sie verließen, doch als sie ablehnte, sagte er: »Das wusste ich vorher. Du machst es dir niemals leicht«, und als sie ihm sagte, sie wolle ein wenig spazieren gehen, war ihm klar, dass sie allein sein wollte. Er blickte tiefer als die meisten, ihr Dominic, und kaschierte den Schmerz mit einem schrulligen Scherz. Wenn er nur nicht an Gott vorbeigeschaut hätte.
Mit der Zeit vielleicht? Ich werde ihm nie eine Predigt halten oder zugeben, dass ich für ihn bete. Aber wenn uns Zeit vergönnt ist …
Für ihre gemeinsamen Pläne hatten sie kein Ende gefunden. Ein Haus in der Dubina Dolyina, ein Appartement in Zorkagrad; leisten konnten sie sich beides, und Kinder sollten Ellbogenfreiheit kennenlernen, nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Ausflüge zu den Sternen, wilde Schönheit, der herzzerreißende Augenblick, in dem eine neue Wahrheit entdeckt wird, dann die Rückkehr zum geliebten Wohlbekannten. Dienst, oh, nichts allzu Gefährliches mehr, eher Stabsarbeit als Außendienst – dennoch Schwertgeklirr in dem frohen Wissen, dass der Kampf um der Zukunft willen geführt wurde, nicht für das arme, reisemüde Imperium, sondern eine Welt, an die auch er glauben konnte, die Welt ihres Fleisches und Blutes.
Alles war flach und verschwommen geworden, unwirklich. Das Einzige, was Kossara noch im Blick
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