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Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)

Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)

Titel: Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Friedmann
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oder?«
    Erneut sah Tina auf die baumelnden Anhänger und dachte auf einmal an Indien. Da würde sie als Nächstes hinfahren. Verrückt, seit kurzer Zeit hatte sie einen eigenen Indienshop, aber war sie noch nie in dem Land. Wie peinlich. Wenn ihre Kunden das wüssten!
    »Oh ja, Mumbay ist der absolute Wahnsinn!«, hörte sie sich ständig den bunten Subkontinent bejubeln. Aber was hatte sie bis jetzt wirklich von Indien gesehen? Ein Satellitenbild im Internet, von Mumbay, mehr nicht. Das hielt sie nicht davon ab, in den höchsten Tönen von Indien zu schwärmen. Denn genau das wollten ihre Kunden hören. Ach, ja, und dann das atemberaubende Rajastan oder der Ganges! Dazu diese über allem schwebenden Düfte! Schier unbeschreiblich sei das alles!
    Keiner hatte je auch nur vermutet, dass sie in Wahrheit nicht die geringste Ahnung hatte, wovon sie da redete. Das Einzige, was sie bis dato vom Duft Indiens mitbekommen hatte, war der graue Staub der vielen Kartons, in denen Tausende Räucherstäbchen und Seidenschals verstaut gewesen waren, die sich bald schneller verkauften, als man sie überhaupt hatte auspacken können.
    All das war fast wie von selbst passiert. Plötzlich war sie Besitzerin von »Pure India« geworden, der angesagten Adresse für Indienfreaks aus ganz Kreuzberg. Sie hatte gerade erst zwei Wochen dort gejobbt und sich mit Ulla, der Besitzerin und Althippiefrau der ersten Stunde, sofort prima verstanden, als Ulla einen neuen Guru kennenlernte und diesem folgen wollte, irgendwohin an den Fuß des Himalaja.
    »Ich hau ab. Den Laden schenk ich dir«, hatte sie nur gesagt.
    Dann hatte sie Tina die Schlüssel in die Hand gedrückt und sich ins Land der heiligen Kühe verabschiedet. Namaste!
    Tina konnte ihr Glück zuerst kaum fassen und suchte täglich den Haken an der Sache, aber es gab keinen. Ab dem ersten Tag verdiente sie bestes Geld damit. Es war ihr einfach alles in den Schoß gefallen. Vielleicht, weil sie einerseits täglich meditierte und so ihr Karma flugbereit hielt, und andererseits, weil sie, wie sich herausstellte, die perfekte Verkäuferin war. Endlich hatte sie ihr wahres Talent entdeckt. Und die Gewinnspanne war nahezu unverschämt: zwanzig Räucherstäbchen zum Warenwert von fünf Cent mal locker für das Hundertfache verkauft.
    Doch genauso unverschämt war es gewesen, dass sie fünf Jahre Theaterwissenschaften studiert, mit den besten Noten abgeschlossen und ihr Professor sie dann mit der netten Frage in die Welt verabschiedet hatte, wie man nur so doof und naiv sein könne, so viel Zeit ausgerechnet in dieses völlig nutzlose Studium zu investieren? Unverschämt war auch, dass sie bis vor kurzem drei Jobs hatte, nur um halbwegs über die Runden zu kommen.
    Diese Tage waren nun vorbei. Danke an den Guru im Himalaja. Danke an Ulla, die sich lieber mit einem Punkt auf der Stirn und im Schneidersitz in die nächste Bewusstseinsebene vögelte. Ommm! Ommm! Um deren Karma machte sie sich keine Sorgen.
    Aber was hatte ihr der liebe Lutz schon Vorträge gehalten, wenn sie abends über der Abrechnung gesessen oder neue Bestellungen aufgeschrieben hatte. Sie habe die Seiten gewechselt, sei nun selbst zur Ausbeuterin und Preistreiberin degeneriert. Gierige Unternehmerin, Kapitalistin! Als hätte sie eine ansteckende Krankheit befallen. Ob er jetzt für sie ein BWL-Studium anfangen müsse, hatte er sie doch tatsächlich gefragt. Wenn es wenigstens als Witz gemeint gewesen wäre. Manchmal hatte er echt einen Knall.
    Dabei hatte er gar keine Ahnung, wie gut ihr Geschäft wirklich lief. Und das war nur der Anfang. Gestern Mittag erst hatte sie den Mietvertrag für den neuen, noch größeren Laden unterschrieben. Ja, und was für eine Unternehmerin sie war! Gerne, her mit der Kohle!
    Lutz! Zum plötzlich prall gefüllten Kühlschrank hatte er nie »Nein« gesagt oder zu dem neuen Computer, auf dem er seine Magisterarbeit parkte, an der er schon seit knapp zweihundert Jahren schrieb.
    Aber sie würde ihn schon noch aufwecken, den Herrn Weltverschwörer. Diesen Urlaub gönnte sie ihm noch, damit er sein sensationelles Opus, mit dem er die Welt wachrütteln wollte, entweder zu Ende bringen oder zu Grabe tragen konnte: »Der Turbokapitalismus aus der Sicht von Sigmund Freud«. Gab es eigentlich einen dämlicheren Titel? Wie wäre es denn mit »Das Über-Ich und der Börsencrash« oder »Pränatale Phase und Rendite«?
    Ab jetzt wird Geld verdient! Das stand fest. Mit oder ohne den alten Sigi Freud. Ihre

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