Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
anhörte? Single. Gerade so, als wäre sie wieder Mitte zwanzig.
Im Grunde genommen war das gar nicht so schlecht. Endlich wieder Angst vor dem dreißigsten Geburtstag haben. Sich alt fühlen, obwohl man doch noch so jung war. Bei ihr lag dieses lächerliche Datum schon zwölf Jahre zurück. Und acht davon hat sie mit diesem Armleuchter Martin verbracht. Eigentlich sollte sie ihm dankbar sein. Dankbar dafür, dass er diese kleine Studentin gevögelt hatte. Vor allem dankbar dafür, dass er tatsächlich so blöd gewesen war, es in ihrem gemeinsamen Büro zu tun. Zu dem sie den Schlüssel hatte. Armleuchter!
Endlich war sie frei.
3. Kapitel
Im Obergeschoss gab es an die sechs Schlafzimmer, mehr als genug für sie alle. Anna schien sich schon entscheiden zu haben. Elli hatte gerade noch gesehen, wie sie die Tür zu dem Zimmer ganz links geschlossen hatte.
Hinter sich hörte sie die beiden Männer mit ihren Koffern und Taschen poltern. Um nicht nehmen zu müssen, was übrig blieb, sollte sie sich besser schnell für eines der Zimmer entscheiden. Hauptsache Blick auf den Garten.
Sie trat ein und fühlte sich sofort wohl. Alles war genau nach ihrem Geschmack. Ein Bett, ein Schrank, ein kleiner Sekretär mit Stuhl, an den Wänden drei Stiche mit Entwürfen von Andrea Palladio und in der Ecke neben dem Fenster ein Lesesessel mit Lampe, so aufgestellt, dass das Tageslicht auf die Buchseiten fiel, wenn man las. Kein Schnick-schnack, stattdessen durchweg wertvolle Einzelstücke und manches bestimmt hundert Jahre alt. Das feine, ausgetretene Parkett gab angenehm unter jedem ihrer Schritte nach, als sie ihren Rimowa-Koffer abstellte, die Tür hinter sich schloss und ans Fenster trat.
Was für ein herrliches Anwesen. Jetzt konnte man noch viel besser sehen, wie der Garten sich vor dem Haus ausbreitete und sich mit seinen Bäumen und Büschen, darunter einige stolze Zypressen, an den Hügel schmiegte, während der Himmel kurz davor war, der Nacht entgegenzuglühen. Was für eine Szenerie!
Wieso lebte sie eigentlich in München und nicht an einem Ort wie diesem? Sie war von seiner Magie ganz gefangen. Bereits jetzt verflüchtigte sich langsam das, was bis vor wenigen Stunden noch mit seiner schalen Niedergeschlagenheit an ihr gezogen hatte und täglich jeden Schritt schwerer machte. Der dunkle Brei aus Enttäuschung und niedergetrampelter Hoffnung, aus Verlust und Verzicht.
Die Sonne tauchte den Himmel in ein feuerrotes Farbenfest. Elli bildete sich ein, ein wenig zu schweben. Mein Gott, sie hatte ganz vergessen, wie das war.
Eine der großartigsten Szenen in »Der Pate« war die, in der der alte Don Corleone nach all den Jahren der Kämpfe und Intrigen, nachdem er alle Konkurrenten und sogar das liebe FBI ausgeschaltet hatte, schließlich in aller Ruhe durch seinen Garten schreiten und sich mit Hingabe den Tomaten widmen konnte. Das hatte etwas selten Würdevolles und Zeitloses. Der einzige Wermutstropfen war, dass der unbesiegbare Mafiaboss, der Chef des mächtigsten Clans, just in diesem Moment an einem Herzinfarkt starb. All die Mühe umsonst. Was die Szene, und natürlich Marlon Brando, wiederum nur noch legendärer machte.
Carlo hatte bis jetzt zwar noch keine feindlichen Clans besiegt, auch war er nicht der Chef eines gefürchteten italienischen Clans, und dem FBI war er völlig unbekannt. Trotzdem spürte er einen Hauch vom Don und dem alten Brando in sich, als er durch den Gemüsegarten der Villa schritt.
Der hatte seine Erwartungen weit übertroffen. Carlo öffnete den nächsten Knopf seines Hemds, denn es war immer noch drückend heiß, und das, obwohl sich der Abend in großen Schritten ankündigte.
Dann strich er sich wie Brando mit drei Fingern über die Wange und nuschelte den Text: »Ich mache dir ein Angebot, das du nicht ablehnen wirst.« Ja, der Don wäre stolz auf ihn gewesen.
Offensichtlich hatte sich schon länger niemand mehr so richtig für diesen kleinen Garten Eden hier interessiert. Viel war verwildert und wuchs kreuz und quer durcheinander. Dafür strotzten die Pflanzen, die sich durchgesetzt hatten, umso mehr vor purer Lebenskraft und reckten sich der Sonne entgegen. Die knallroten Tomaten waren schon fast erschreckend groß. Ebenso die Zucchini. Die Auberginen erinnerten ihn an gestrandete Wale, und mit den Paprika hätte man eine ganze Armee an Gulaschkanonen bewaffnen können. Als Krönung wurde das alles umwuchert von allerlei wilden Salaten, Ruccola und Endivien in einer Pracht, dass
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