Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
den paar harmlosen leistungssteigernden Präparaten mal abgesehen, die man ihm ohne sein Wissen in seiner kurzen sportlichen Jugend damals in der DDR verabreicht hatte, machte Heiko immer einen großen Bogen um Drogen. Die Folge des naiven sozialistischen Kaderdopings war übrigens eine dicht behaarte Brust schon im zarten Alter von fünfzehn Jahren gewesen, die er sich seitdem immer noch wöchentlich enthaaren lassen musste. Nicht nur das hatte sein Verhältnis zum Arbeiter-und-Bauern-Staat schon früh getrübt.
Mit Forscherblick untersuchte Heiko seinen ersten Joint. Denn dieses gerollte Teufelszeug hatte eine hartnäckige, nicht zu unterschätzende Wirkung auf Heikos optische Wahrnehmung. So überraschte es ihn zum Beispiel, dass seine Sandra heute Abend grünes Haar trug. So wie es ihn generell verwunderte, dass im Nu alle grünes Haar trugen. Er etwa auch? Hatte jemand Perücken verteilt? Seinen eigenen Kopf konnte er leider nicht sehen, zu schade, oder vielleicht auch besser so, denn er fühlte sich irgendwie viereckig an. Auch fand er es bedauernswert, dass alles um ihn herum plötzlich nur noch zweidimensional war. Die räumliche Komponente war weg. Alles war so, so flach. Alles, der Raum, die Menschen, die Möbel, erschien ihm so platt wie im Fernsehen. Außerdem war die Auflösung miserabel, lauter viel zu grobe Pixel. Unterstrichen wurde sein Gefühl durch das leicht verwackelte, doppelt belichtete, bunt umrandete Bild, das sich ihm bot. 3-D-Kino ohne Brille. Er hatte eine Idee! Der Joint! Sollte er vielleicht noch einen Zug nehmen, um seine Optik wieder scharf zu stellen, oder lief er dann erst recht Gefahr, nur noch schwarzweiß zu sehen? Seinem ersten Impuls folgend, hätte er sich weggedreht, aber er folgte seinem zweiten. Und der legte ihm nahe, es noch einmal zu probieren. Einmal ruhig einatmen, einen gesunden Lungenzug bitte! Sein Bewusstsein wurde durch einen Fleischwolf gedreht, und zack, da war es auch schon: das schwarzweiße Bild. Hätte Heiko gesehen, dass sich seine Pupillen kurz querstellten und zu Schlitzen verformten, so dass man ihn ohne Mühe für einen Amphibienmenschen halten konnte, dann hätte er sich wohl Sorgen gemacht. So aber fasste er den Entschluss, seine beiden Gehirnhälften mit einem ordentlichen Schluck Gavi wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Alkohol war seit jeher die beste Medizin! Prost und scharf stellen, bitte! Ob das auch in seinem Fall so hundertprozentig zutraf, darüber ließ sich streiten. Aber noch war der Abend jung und unschuldig, wie es so schön und trügerisch hieß.
Im Vergleich zu Heiko, dem unschuldigen Novizen in der so endlosen Welt der Rauschmittel, stellten sich Elli und der Dottore weitaus professioneller an. In Erinnerung an die guten alten Tage gönnten sich die beiden ebenfalls ein, zwei Züge und schmunzelten sich dabei zu. Man konnte auf die gewachsene Erfahrung der Studientage zurückgreifen und machte eine bessere Figur als der dauergrinsende ostdeutsche Vertreter eines westdeutschen Versicherungskonzerns.
In einem Punkt allerdings mussten sie Heiko zustimmen. Mit dem harmlosen Nachtschattengewächs, das man in den leider nur halb so wilden Achtzigern zu rauchen pflegte, hatte diese hochgezüchtete, bis ans genetische Limit manipulierte Pflanzenbombe rein gar nichts zu tun. So wie Tee heute nach zig verschiedenen Kaugummiaromen schmeckte, nur eben nicht mehr nach Tee, so war dieser Pharmahammer näher an gewachsenem LSD dran als an allem, was damals in Marokkos Gärten oder auf dem Dachboden der unwissenden Großeltern gezüchtet worden war.
Auch Elli schlackerten die Ohren. Das war ihr erster Joint nach sehr langer Zeit. Sie lachte, denn ihrem Schwarm schien es kaum anders zu ergehen. Sie konnte schwören, dass auch seine Erde zu einer Scheibe und dann wieder eine Kugel wurde.
Er fasste sie bei der Hand, um gemeinsam weiter raus auf die Terrasse, an die tatsächlich frische Luft zu gehen. Ob, er ihre Hand hielt, weil er ihr Halt geben wollte, oder ob er eher selbst welchen suchte, war schwer zu sagen.
Als Tina das frische Pärchen davonwanken sah, hatte sie ihren Spaß.
»Wie wär’s mit Musik?« Und schon verschwand sie im Haus.
Dort wäre sie beinahe mit ihrem Lieblingsopfer zusammengestoßen. Mit seinem ausgeprägten Talent, sich das Leben nicht immer wirklich einfacher zu machen, hatte Heiko beziehungsweise das, was noch von ihm übrig war, es sich partout in den Kopf gesetzt, Anna beim Abräumen zu helfen. Zu seinem Glück
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