Flaschendrehen: Roman (German Edition)
Petersburg. Und halte die Stellung, bis ich da bin.«
Das musste man mir nun wirklich nicht zweimal sagen.
Im Café Petersburg war zum Glück so früh am Abend nicht viel los. Es war eine dieser typischen Ostkneipen, abgerockt mit Retromöbeln und orangefarbenen Lampen. Alles in allem gemütlich, unaufgeregte Musik im Hintergrund und ein super Ausblick durch die hohen Fenster auf das Treiben unten auf der Straße. Früher war ich mit Sarah oft in solchen Clubs unterwegs gewesen, bis früh in den Morgen, und zwar freitags und samstags. Der Samstag wurde nur dazu benutzt, bis in den Nachmittag hinein auszuschlafen, um den Rest des Tages sich ein neues Outfit zu überlegen und die Ereignisse des Vorabends durchzukauen. Diese Zeiten waren längst vorbei, denn was während Schule und Studium locker ging, war nach einer stressigen Arbeitswoche einfach nicht mehr zu schaffen. Inzwischen passierte es mir sogar, dass ich ab und zu freitags vor dem unsäglich schlechten Fernsehprogramm aus lauter Erschöpfung einschlief, was ich in dieser Runde jedoch niemandem sagen konnte. Allerdings hatte ich die Weggehphase so sehr ausgereizt, dass ich nicht das Gefühl hatte, irgendetwas zu verpassen. Nur tanzen ging ich immer noch für mein Leben gern, dann aber eben nur bis ein Uhr und nicht mehr bis um fünf.
Wir konnten uns einen der begehrten Ecksofaplätze sichern. Wie Clemens entspannt auf dem Sofa saß, Scharen ihn anhimmelnder Frauen um sich drapiert, mussten wir ein ziemlich komisches Bild abgeben. Vor allem für denjenigen, der möglicherweise den Kampf beobachtet hatte, der um die beiden freien Plätze neben Clemens losgegangen war. Eine Erwachsenenversion der Reise nach Jerusalem war nichts dagegen. Leider hatte ich gegen Dianes knochigen Ellenbogen keine Chance gehabt, und Michi war einfach zu klein und geschickt gewesen, und so saß ich taktisch ungünstig zwischen Diane und einer Volontärin. Sarah würde nicht zufrieden mit meinem Platz sein, zumal Diane Clemens bei jedem Lachen ihre Hand auf den Schenkel legte. Mir wandte sie freundlicherweise ihren Rücken zu, sodass ich nur Clemens’ Haaransatz sehen und unzusammenhängende Gesprächsfetzen aufschnappen konnte.
Es war nicht einfach zuzugeben, aber die Konkurrenz hatte mich gnadenlos kaltgestellt auf meinem Platz in der dritten Reihe.
Clemens versuchte zwar, mich einzubinden, leider erfolglos, denn kaum hatte ich auf seine Frage geantwortet, da nahm ihn Michi von der anderen Seite wieder in Beschlag, damit sich ja kein Gespräch entwickeln konnte. Vielen Dank auch! Dabei hatte ich ihr heute Morgen mit meinen Profivisagistentricks das Leben gerettet! Das würde fetten Abzug auf ihrem Karmakonto geben. Da half auch kein Dispo mehr!
Es lief nicht gut, es lief überhaupt nicht gut, ganz zu schweigen von der einsetzenden Halsstarre und den Genickschmerzen, die ich vom ständigen Langmachen bekam, nur um an Clemens’ selbst ernanntem Bodyguard Diane vorbeischielen zu können und mich so bei Clemens kurz in Erinnerung zu bringen, bevor ich abermals hinter Dianes Riesenrücken verschwand.
Das erkannte auch Sarah, die gerade zur Tür reinkam. Clemens winkte sie erfreut zu uns herüber, was Dianes und Michis Gesicht kurz schockgefrieren und mich frohlocken ließ. Sarah, Frau ohne Furcht und Tadel, begrüßte Clemens mit einem Kuss auf die Wange und quetschte sich ungerührt zwischen ihn und Diane.
Ha! Eins zu null. Das Blatt begann sich zu wenden.
»Darf ich vorstellen: Sarah, meine beste Freundin seit Kindertagen. Sarah, rechts von dir sitzt Diane, und das da drüben ist Michi.«
Michi, die gute Seele, machte wenigstens den Versuch eines Lächelns, während Diane in ihrer gewohnt stutenbissigen Art fragte: »Ach, und du arbeitest also auch für die Phosphor , oder was genau ist dein Beitrag zum neuen Heft, das wir heute feiern?«
Ich konnte nicht fassen, wie jemand wirklich so feindselige, unhöfliche und durchschaubare Kommentare abgeben konnte und damit auch noch durchkam. Dreistigkeit schien wirklich zu siegen. Aber Diane hatte nicht mit Clemens gerechnet.
Er zwinkerte uns zu.
»Sarah ist unsere Betriebsärztin und fürs mentale Wohl zuständig. Aber du hast Recht, Diane. Wenn Gretchens Freundin mitfeiert, sollten eure Freundinnen auch mitfeiern. Also wenn ihr wollt, ruft sie an. Heute geht alles auf mich!«
Noch einmal ha! Diesmal ein genialer Schachzug von Clemens und ein Selbstschuss ins Knie Dianes! Erstens hatte sie keine Freundinnen, sondern höchstens
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