Flaschendrehen: Roman (German Edition)
steigern. Bei dem Schneckentempo konnte ich noch ein paar Telefonate erledigen, Rudi etwa hatte ich seit einigen Tagen nicht zurückgerufen.
»Na, wenn das nicht meine kleine Schwester ist. Du hast deinen Bruder wohl im Liebeswahn vergessen?«, scherzte er über die Freisprechanlage. Rudi gehörte auch zum verschwiegenen Kreis der Eingeweihten.
Meinen Protest, dass ich einfach zu viel arbeiten musste, überging er geflissentlich. Ihn interessierte vielmehr nur ein Thema, wann ich meine lang angekündigte und fest versprochene Einweihungsparty endlich feiern wollte, schließlich sei ich jetzt schon über drei Monate in der Stadt, und er habe mal wieder Lust auf ’ne Party – als ob das das Totschlagargument schlechthin wäre. Da ich aber zu meinem Wort stand, wie es mein Name, der deutsche Tugenden wie Zuverlässigkeit und Pflichtbewusstsein geradezu assoziierte, schon vermuten ließ, willigte ich ein und versprach, die Party Ende des Monats zu feiern.
Wieder einen Mann glücklich gemacht, dachte ich, als ich in Clemens’ Straße einbog. Das hier war im Vergleich zum Ostteil, in dem ich wohnte, beinahe wie eine andere Stadt. Riesige gediegene Villen mit parkähnlichen Anlagen zierten die engen, wenig befahrenen Straßen, die jeweils von Baumalleen eingesäumt wurden. Auf den Straßen, die im Gegensatz zu Pankow nicht von Bierflaschen und Hundehaufen gesäumt waren, war wenig los. Man sah teuer gekleidete Menschen aus ihren Luxuslimousinen steigen, vereinzelt Mütter mit Kinderwagen, allerdings nicht Mütter wie im Prenzlauer Berg, die mit ihren Freundinnen und Kindern morgens im Café abhingen, sondern von der Sorte, die eine Nanny haben, wenn sie zum Nachblondieren zu Udo Walz gehen. Der wahre Luxus bestand jedoch in der Auswahl freier Parkplätze, wohin das Auge reichte.
Clemens wohnte standesgemäß nahe der norwegischen Botschaft in einer alten, aus roten Backsteinen erbauten Jugendstilvilla. An dem aufwändig verzierten gusseisernen Tor standen inklusive Clemens’ nur drei Namen auf den weißen Klingelschildern.
Aufgeregt drückte ich die Klingel, kurz darauf surrte es, und das schwere Tor gab den Weg zu Clemens’ Prachtzuhause frei. Man ging einen mit hellen Kieseln ausgelegten Weg zum Eingang, vorbei an angelegten Blumenbeeten und Jasminsträuchern, die leider schon verblüht waren.
An der Tür erschien Clemens und winkte mich heran.
Wie er dastand, in die Abendsonne blinzelte, groß, schön und lachend, musste ich denken, dass diese Häuser genau für diese Sorte Mann gebaut worden waren. Er füllte den Raum aus und wirkte nicht klein, das war seine natürliche Umgebung, in der er sich ungezwungen bewegte. Nolde hätte es besser nicht malen können.
Zur Begrüßung küsste er mich zärtlich auf die Stirn.
»Na, Augenstern, magst du eine Führung, bevor wir essen?« Mir war alles recht. Die warme Septemberabendsonne, die Ruhe, die das Anwesen ausstrahlte, und Clemens verliehen dem Abend einen besonderen Zauber.
Wir gingen über einen gepflegten englischen Rasen in den hinteren Teil des Gartens, der alte, hohe Baumbestände aufwies. Eine Blutbuche stand dunkelrot eingefärbt neben einigen Kastanienbäumen. Ein schmaler waldiger Weg führte zu einem Bootssteg. Das Grundstück hatte direkten Zugang zu einem privaten Badesee. Idyllisch war überhaupt kein Ausdruck, es fehlte an nichts. Kleine Entenscharen schwammen auf dem klaren Wasser. Clemens besaß ein Ruderboot, das an dem Steg angetaut war, und ringsherum war auch hier kein Mensch zu sehen. Wenn ich da an die belebten Straßen in Mitte und meiner Wohngegend dachte, wo einen selbst morgens um vier noch weggehfreudige Mitmenschen auf der Straße umrannten, war das hier wirklich eine andere Welt. Ein Atemzug, und ich hatte abgeschaltet, war ruhig und entspannt.
»Schön, nicht?«, Clemens umarmte mich von hinten und küsste mich in den Nacken, was meine Härchen gleich mit Aufstehen quittierten.
»Allerdings! Wie hast du diese Wohnung gefunden?«, wollte ich wissen.
Gar nicht, wie sich herausstellte. Das Haus gehörte nämlich seiner Familie, und praktischerweise war gerade eine Wohnung unterm Dach frei geworden, als er nach Berlin kam.
Ja, wenn man Clemens Vogelmann hieß, fügte sich einfach alles im Leben wunderbar, und wenn man mit ihm zusammen war, schien dieser Glückszauber abzufärben.
Wir gingen durch das nach Pinienholz riechende Treppenhaus in Clemens’ Wohnung unter dem Dach. Die Wohnung war einfach atemberaubend. Man sah aus dem
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