Flashback
sich Nick die K-Plus-Balaklava über den Kopf zog. »Colorado hat schon vor Jahren die Todesstrafe abgeschafft und sie bis heute nicht wieder eingeführt. Bei jedem Erschossenen müssen wir einen Haufen Papierkram erledigen. Wenn ein Gefangener stirbt, haben wir sogar mehr Formalitäten am Hals als beim Tod eines Besuchers.«
Sato nickte. Nick starrte durch die Augenschlitze seiner Kopfbedeckung. Seine Ohren waren geschützt, die Außengeräusche wurden per Funk übertragen. In die Balaklava waren eine 3-D-Minikamera und zwei Mikrofone integriert, so dass Sato und die anderen auf der alten Pressetribüne alles mitbekamen, was er hörte und sah – außer einer der Insassen säbelte ihm den Kopf ab und vergrub ihn irgendwo.
Nick streifte seine normalen Kleider über. Die K-Plus-Handschuhe musste er als Letztes anziehen.
Polansky ging zu Nick, um Kamera und Mikros einzuschalten. Mit verschränkten Armen trat er wieder zurück. Er machte ein finsteres
Gesicht. »Wir möchten Berater Nakamura gern entgegenkommen, Mr. Bottom, aber lohnt sich denn dieser ganze Aufwand für die Vernehmung eines einzelnen Gefangenen?«
»Wahrscheinlich nicht.« In seiner Kevlarhülle streckte Nick Arme und Finger und bewegte den Kopf. Er fühlte sich, als hätte ihn jemand in Metallfolie gewickelt. Unter der Panzermontur sammelte sich bereits der Schweiß. »Also los.«
Nick trat durch die Zauntür auf Höhe des Mittelfelds und begann den langen Marsch über das Spielfeld. Delroy Browns Schuppen thronte auf der ersten Ebene hinter dem Schlagmal, ungefähr auf halber Höhe. Als Drogenhändler, der nur läppische drei Jahre absitzen musste, besaß Brown eigentlich nicht den Status für so eine Toplage, aber er war vorher schon wegen ernsterer Vergehen im Lager gewesen und hatte Freunde hier.
Nick warfkeinen Blick zurück. Er wusste, dass Sato oben auf dem zweiten Rang hinter kugelsicherem Spiegelglas lauerte. Wo sich früher ein VIP-Restaurant befunden hatte, war jetzt der Scharfschützenposten.
In der Anfangszeit des Straflagers in Coors Field war das gesamte Spielfeld frei gehalten worden, damit sich die Gefangenen bewegen konnten. Jetzt waren Outfield und Infield – beide längst graslos – mit Deckenzelten, Kartonhütten und Blechschuppen angefüllt. Hier lebten die Neuen und die Niemande, deren zusammengeschusterten Behausungen voll der Witterung ausgesetzt waren. Coors Field hatte nie ein Dach besessen, weder einziehbar noch fest. Die schwarzen Gefangenen hatten sich die besten Plätze gesichert. Sie besetzten den gesamten bedeckten Bereich hinter dem Schlagmal bis zur Höhe von First und Third Base. Die Weißen breiteten sich in den bedeckten Bereichen im ersten und zweiten Rang auf der linken Seite aus. Die Latinos bewohnten beide Ränge auf der rechten Seite und den unbedeckten Teil der Mittelfeldtribünen,
der früher Rockpile geheißen hatte. Für die Insassen hieß er immer noch so.
Die teuren, abgeschlossenen Luxuslogen dienten inzwischen als fensterlose Unterkünfte für die VIP-Gefangenen, die den Aufsehern und Wärtern ein Vermögen dafür bezahlen mussten. Auf den Sitzen des dritten Rangs standen einzelne Buden und Zelte für Exzentriker und ältere Häftlinge, die einfach nur ihre Ruhe haben wollten.
Von der Tür auf Höhe des Mittelfelds verlief eine Art Trampelpfad zum Schlagmal, dem Nick folgte. Aus den Zelten und Kartonbuden erntete er gehässige Blicke, aber niemand kam ihm nahe. Besucher bewegten sich in einem Schusskreis von vier Metern Durchmesser.
Der Weg war weit, und unter Nicks K-Plus-Panzer staute sich die Körperwärme, bis er sich einer Ohnmacht nahe fühlte. Er kannte die Spielregeln: Wenn dich einer oder mehrere Insassen mit scharfen Waffen angreifen, rollst du dich zu einer Kugel zusammen, bedeckst das Gesicht mit den geschützten Händen und überlässt alles dem Scharfschützen, während die Angreifer auf dich einstechen; erst wenn sie alle zu Boden gegangen sind, rappelst du dich auf und rennst wie ein Irrer zum nächsten Ausgang.
Bloß dass der nächste Ausgang inzwischen ungefähr hundertdreißig Meter entfernt auf der anderen Seite des Spielfelds lag.
Nick stoppte ungefähr an der Stelle, wo früher das Schlagmal gewesen war, und spähte hinauf zu den Tribünen. Das Fangnetz stand unverändert an seinem Platz. Das Reale des Orts überraschte ihn, da er sich so an die digitale Version im Sommer gewöhnt hatte. Die meisten Menschen hatten geglaubt, dass das Ende öffentlicher
Weitere Kostenlose Bücher