Flashback
gestern hatte Danny Oz die Frage aufgeworfen, wer die Sie aus dieser Shakespearepassage war.
Obwohl er sich bewusst war, Zeit zu verschwenden und sich zur Zielscheibe für Angriffe zu machen, sagte Nick: »Sie scheinen ja einiges über Shakespeare zu wissen, Mr. Soul Dad.«
Der Greis warf den Kopf zurück und lachte genussvoll. Er hatte große weiße Zähne, von denen trotz seines Alters nur oben rechts einer fehlte. Das Lachen brachte Nick unwillkürlich auf die Idee, dass der Mann Jamaikaner war, obwohl es seiner Aussprache nicht anzumerken war. Nick hatte keine Ahnung, ob sein Heiterkeitsausbruch auf die Anrede »Mr. Soul Dad« oder das Shakespearekompliment zurückzuführen war.
»Ich habe über vierzig Jahre lang zusammen mit einem spiritussüchtigen, überaus gelehrten Philosophieprofessor in einem kleinen Eisenbahnschuppen in Buffalo gewohnt«, erklärte Soul Dad. »Und manche Dinge färben eben ab.«
Nick fand es nach wie vor dumm, hier herumzutrödeln und Fragen zu stellen, aber manchmal war auch Dummheit wichtig. »Soul Dad, warum sind Sie hier?«
Wieder das Lachen aus vollem Hals. »Ich bin hier, weil ich im Winter unter einer Überführung gelebt und den Leuten die Aussicht auf den Platte River verdorben habe – Leuten, die viel Geld bezahlt haben für ihre Wohnung in einem hohen Glasturm am Fluss. Und warum, wenn Sie mir die Gegenfrage erlauben, sind Sie hier, Mr. Bottom? Oder besser, wen suchen Sie hier?«
»Delroy … Brown.«
Soul Dad setzte ein breites Grinsen auf. »Wie edel von Ihnen, das mittlere Wort auszulassen, Mr. Bottom. Und ich stimme mit Ihnen überein. Von allen Dingen, die ich in den neunundachtzig Jahren meines Lebens gesehen und erlitten habe, ist die Rückkehr meines Volks zu dem nie ganz ausgestorbenen Wort aus der Zeit unserer Versklavung wohl die größte, selbstverschuldete Torheit.«
Der Greis drehte sich um und deutete auf einen Schuppen im ersten Rang, wo natürlich schon längst alle Sitze herausgerissen waren. »Mr. Delroy Nigger Brown ist dort, Sir, und er erwartet Sie.«
»Danke.« Nick machte einen Schritt nach vorn.
Soul Dad hob warnend den Zeigefinger, aber vor dem Körper, so dass die Geste von hinten nicht erkennbar war. »Sie wollen Sie töten.« Seine Stimme war fast lautlos.
Nick stoppte.
»Nicht Mr. Brown, den Sie suchen, sondern ein gewisser Bad Nigger Ajax. Kennen Sie den Mann?«
»Ich kenne den Mann.« Auch Nick sprach jetzt ganz leise. Vor über zehn Jahren hatte er Ajax verhaftet und ihn mit seiner Aussage ins Straflager gebracht, weil der Mann mehrfach eine Sechsjährige anal vergewaltigt hatte. Das Kind war an inneren Blutungen gestorben.
»Es ist folgendermaßen geplant«, fuhr Soul Dad in raschem Flüsterton fort. »Mr. Brown wird Sie in seinen Zeltschuppen einladen. Sie werden vorsichtshalber ablehnen. Mr. Brown wird sagen: ›Gehen wir ein Stück rauf, wo wir ungestört sind.‹ Zehn Stufen weiter oben wird Mr. Ajax hinter einem anderen Zelt hervorstürzen und Ihnen ins Gesicht schießen. Seine Freunde – oder vielmehr seine verängstigten Gefolgsleute, denn Mr. Ajax hat keine Freunde hier – werden Ihrem Scharfschützen die Sicht verstellen, damit Mr. Ajax in der Menge auf der linken Spielfeldseite entkommen kann. Die Pistole wird spurlos verschwinden.«
Nick starrte den Alten an. Neunundachtzig Jahre alt. Soul Dad war – bestimmt unter einem ganz anderen Namen – noch im Zweiten Weltkrieg geboren worden.
Bevor Nick irgendetwas sagen konnte, legte Soul Dad die Hände zusammen und verneigte sich. Dann drehte er sich um und entfernte sich auf der ehemaligen Third-Base-Linie.
Nick hatte keine Ahnung, ob ihm der Alte die Wahrheit gesagt hatte oder ihn nur in eine andere Falle locken wollte. Er machte zwei Schritte nach hinten und ließ den Blick über die Zelte und Schuppen auf dem ersten Rang hinter dem Schlagmal gleiten. Flüsternd erkundigte er sich, ob Sato alles mitbekommen hatte.
»Wir haben es gehört«, bestätigte die Stimme des Sicherheitschefs in seinem Ohr. »Ich habe gerade ein Foto von Ajax vor mir.«
»Irgendwelche Vorschläge, wie ich weiter vorgehen soll?«
»Mr. Campos meint, Sie sollen durch den Zaun am Mittelfeld zurückkehren, Bottom-san. Sie sollen laufen und Haken schlagen. Die Pistole von Ajax ist wahrscheinlich kleinkalibrig.«
Nick lief der Schweiß in die Augen, aber er widerstand dem Drang, ihn wegzuwischen. »Ich geh rauf zu Delroy. Sind Sie schnell genug, um Ajax zu erledigen, wenn er aus seinem
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