Flashback
Bottom, wer all dieses Land haben will, das früher New Mexico, Arizona und Südkalifornen war?«
»Mexiko, würde ich mal annehmen …, oder Nuevo Mexico oder wie sich die Reconquistas hier in der Gegend nennen. Immerhin sind es ihre Truppen, Panzer und Millionen von Siedlern, die auf dem größten Teil davon hocken und um den Rest kämpfen.«
Nuchajew blies blauen Rauch in die Luft und schüttelte den Kopf. Das zerklüftete, faltige Gesicht wirkte leicht enttäuscht – ein greiser Lehrer vor einem begriffsstutzigen Schüler. »Sie waren wirklich woanders, Nick Bottom. Verirrt in Ihren Flashbackträumen und Ihrem unendlichen Selbstmitleid. Der erste Mann, der je seine Frau verloren hat.«
Nick spürte, wie sein Gesicht rot anlief und sein Zorn schwoll, aber er beherrschte sich, um diesem Don Chosch-Achmed Nuchajew nicht den Schädel einzuschlagen mit …
Womit? Der Stuhl, auf dem er saß, war der einzige Gegenstand im Raum, den er als Waffe benutzen konnte, und er war einfach zu leicht für diesen Zweck. Abgesehen davon zweifelte Nick keine Sekunde daran, dass Nuchajew unter seinem lose herabhängenden weißen Hemd eine Pistole im Gürtel stecken hatte.
Nick zog es vor, nicht weiter auf die Beleidigung einzugehen. »Na schön. Wenn nicht Mexiko, wer dann? Japan vielleicht?«
»Was sollte Japan bei seiner sinkenden Geburtenrate mit dem
vielen Land anfangen – wo noch dazu fast alles Wüste ist?« Offenbar genoss Nuchajew seine Rolle als Lehrer. »Ich weiß, Außenpolitik ist nicht Ihre Stärke, Detective Nick Bottom, aber strengen Sie sich ein bisschen an …, denken Sie scharf nach ! Welche aggressive und blühende Instanz braucht Lebensraum und immer noch mehr Lebensraum? Und ist dazu an Wüsten gewöhnt?«
»Das Kalifat?« Nicks Frage war eher ein wirres Gestammel. Die Vorstellung war schwer zu verdauen. »Das Weltkalifat? Hier im Südwesten? Das ist doch … absurd. Vollkommen lächerlich.«
Don Chosch-Achmed Nuchajew legte die Hände hinter dem Kopf zusammen und lehnte sich zurück, die Zigarre zwischen die starken Zähne geklemmt. Er schwieg.
»Nein, nicht absurd.« Nick fuchtelte mit der Hand, als wollte er eine Fliege verscheuchen. »Unmöglich.«
Aber war es das wirklich?
Auf CNN oder Al-Dschasira USA hatte Nick gehört, dass die weltweite muslimische Bevölkerung kürzlich eine Zahl von zweikommazwei Milliarden Menschen erreicht hatte. Davon rechneten sich nach den zitierten Meinungsumfragen über neunzig Prozent zum Islamischen Weltkalifat, auch wenn sie Nationen angehörten, die eigentlich noch nicht Teil dieses wachsenden Imperiums mit den gleichberechtigten Hauptstädten Teheran, Damaskus und Mekka waren.
Nach einem Jahrzehnt chinesischem Bürgerkrieg und Indiens entschiedenen Maßnahmen zur Schaffung einer breiten Mittelschicht durch Einschränkung des Bevölkerungswachstums – wie es China drei Generationen vorher getan hatte – bedeutete dies, dass das Islamische Weltkalifat das bevölkerungsreichste politische Gebilde der Welt war. Und die Geburtenrate der Muslime konnte inzwischen, wie Nick von irgendjemandem erfahren hatte – vielleicht von seinem pedantischen Schwiegervater – als asymptotische Kurve dargestellt werden. Schon seit über fünfundzwanzig
Jahren war der häufigste Vorname in Europa Mohammed, also schon bevor das Kalifat dort offiziell Einzug hielt.
Scheiße. Nicks Gehirnzellen taumelten noch immer von dem Taserstoß. Auch in Kanada ist der gängigste Babyname Mohammed.
Das hatte aber doch nichts zu sagen, oder?
»Das Kalifat will sich in Südkalifornien, Arizona und New Mexico breitmachen? Mit Kolonisten vielleicht? Mit Einwanderern?« Nicks Zunge fühlte sich pelzig an. »Das würden die Vereinigten Staaten nie zulassen.«
»Ach?« Don Chosch-Achmed Nuchajew zog die Braue hoch. »Und was könnten die Vereingten Staaten dagegen unternehmen?«
Wütend riss Nick den Mund auf … und dachte nach. Dann schloss er ihn wieder. Amerika hatte eine stehende Armee von ungefähr sechshunderttausend Wehrpflichtigen, allerdings schlecht bewaffnet, ausgebildet und geführt, allesamt junge Burschen wie sein Sohn, die in China, Indonesien, Teilen von Südostasien und in Südamerika als Söldner für Japan oder Indien kämpften. Der Rest der regulären Army und der Nationalgarde war ja bereits mit der Bewachung der Grenze zu Nuevo Mexico überlastet, die von Oklahoma über Colorado bis zum Pazifik in der Nähe von Los Angeles reichte.
Konnte die US-Präsidentin die
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