Flashback
nicht alle gewünschten Informationen erhielten. Aber es gab kein Verhör.
Sato, den rechten Arm in der glatt und nass wirkenden Spezialmanschette, klopfte an Nicks Tür und trat ein. »Haben Sie etwas Wichtiges von Don Chosch-Achmed Nuchajew erfahren, Bottom-san? Etwas, das uns bei der Untersuchung weiterhilft?«
Nick biss sich auf die Innenseite der Wange und schaute Sato an. »Ich glaube nicht.« Das war eine Lüge, bloß wie weit die Lüge ging, war ihm noch nicht klar.
Der Sicherheitschef nickte nur. »Einen Versuch war es wert.«
Als Nick einige Stunden später immer noch erschöpft und benommen erwachte, lud ihn Sato zum Abendessen im Geronimo ein, einem berühmten Feinschmeckerrestaurant, das Dara und er gern besucht hatten (sie hatten sogar eigens gespart, um sich das bei ihrem jährlichen Ausflug nach Santa Fe leisten zu können). Ohne zu überlegen, warum ihn Hideki Sato in so ein teures Lokal mitnehmen wollte, nahm Nick an. Er hatte großen Hunger.
Das Geronimo war immer noch so, wie es Nick in Erinnerung hatte: ein Lehmziegelhaus aus dem achtzehnten Jahrhundert, dessen Eingangsbereich von einem großen Kamin mit einem herrlichen Blumengesteck und einem mächtigen Elchgeweih darüber dominiert wurde. Das Restaurant selbst war klein. Da die Terrasse an diesem kühlen, regnerischen Abend geschlossen war, wirkten die Räume überfüllt. Angesichts von Satos Leibesumfang war es ein Glück, dass sie auf einer Eckbank ganz für sich saßen. Sie sprachen wenig. Nach dem ersten Gang – Fujisaki-Birnensalat mit süßen Cashewnüssen und Apfelwein-Honig-Vinaigrette – hatte Nick schon die Hälfte seines Hauptgangs Filet mignon mit fantastischen goldbraunen Pommes frites hinter sich, als ihn plötzlich die Erinnerung an seinen letzten Besuch mit Dara hier packte.
Es schnürte ihm die Kehle zusammen, und er musste die Gabel weglegen, um ein paar Schluck Wasser zu trinken. Sato hatte für beide eine Flasche Lokoya Mount Veeder Cabernet Sauvignon Jahrgang 2025 bestellt, deren Preis nur unwesentlich unter Nicks
letztem Jahresgehalt als Detective lag. Um seine Tränen und das gerötete Gesicht zu erklären, tat Nick so, als hätte er auf etwas Scharfes gebissen. In diesem Augenblick wünschte er sich nur, sich in seinem Zimmer im Konsulat aufs Bett legen und eine seiner letzten Ein-Stunden-Ampullen nehmen zu können, um das Abendessen mit Dara vor neun Jahren in diesem Restaurant wiedererstehen zu lassen. Diese Sehnsucht war viel mehr als bloßer Flashbackentzug, sie war von existenzieller Bedeutung – er gehörte einfach nicht ins Hier und Jetzt , wo er zusammen mit diesem Koloss von einem japanischen Killer speiste, sondern ins Dort und Damals , wo er zusammen mit seiner Frau ein wunderbares Dinner genoss und sie sich beide schon auf die gemeinsame Nacht im La Posada freuten. Mit abgewandtem Blick schlürfte Nick Wasser, bis er die idiotischen Tränen weggeblinzelt hatte.
»Bottom-san«, begann Sato, als sie beide wieder aßen, »haben Sie schon mal daran gedacht, nach Texas zu gehen?«
Entgeistert starrte Nick den Sicherheitschef an. Was wollte der Kerl von ihm?
»Texas nimmt keine Flashbacksüchtigen auf.« Nick senkte die Stimme. Die Tische standen eng zusammen, und das Geronimo war ein sehr ruhiges Restaurant.
»Aber es richtet sie auch nicht hin wie mein Land, das Kalifat und andere Staaten. Texas deportiert sie nur, wenn sie sich weigern oder es nicht schaffen, sich von ihrer Abhängigkeit zu lösen. Geheilte Drogensüchtige sind in der Repulik durchaus willkommen.«
Nick setzte sein Weinglas ab. »Es heißt, nach Texas kommt man schwerer rein als nach Harvard.«
Sato stieß sein typisches männliches Knurren aus, dessen Bedeutung Nick immer noch nicht ergründet hatte. »Sicher, aber wichtige Überlebensfähigkeiten sind an der Harvard University nicht gefragt. In Texas schon. Sie waren doch ein kompetenter Polizeibeamter, Bottom-san.«
Misstrauisch musterte Nick den Sicherheitschef – den Daimyō und Mörder mit dem Beinamen Oberst Tod, wenn er Nuchajew glauben konnte. »Was interessiert Sie das, Sato-san? Wieso wollen Sie – oder Mr. Nakamura – auf einmal, dass ich nach Texas gehe?«
Wortlos trank Sato seinen Wein. Dann deutete er auf die leeren Teller. »Ich möchte noch eine Nachspeise. Sie auch, Bottom-san?«
»Ja. Ich probier mal den Käsekuchen mit weißer Schokolade und Mascarpone.«
Diesmal hatte Satos Knurren für Nicks weinbetörte Ohren etwas durchaus Wohlwollendes.
Die
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