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Flashback

Titel: Flashback Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Mondsichel genau den Beschreibungen selbstsicherer Kalifatführer entsprach: eine kulturelle und politische Vorherrschaft des Islam, die sich vom Nahen Osten über Eurasien, Ost- und Westeuropa nach Norden und durch Afrika nach Süden ausbreitete. Ein anderer Halbmond spannte sich von Indonesien über einen Großteil der Pazifikregion – in spanngungsgeladener Koexistenz mit Japans neuer Großostasiatischer Wohlstandssphäre.
Die größere europäische Sichel erstreckte sich über das ehemalige Großbritannien und die Polarregion und drang mit der äußersten Spitze tief bis nach Kanada vor. Die Kanadier hatten bereitwillig – fast übereifrig – den Reichtum der nördlichen Hälfte des Kontinents geteilt. Das staatlich verordnete Credo von Multikulturalismus und Vielfalt – das das Christentum in Kanada längst verdrängt hatte – verwandelte sich in weniger als zwei Generationen zu einer einzigen theokratischen Kultur, die jede Vielfalt auf ihrem Gebiet beseitigte.
    Obwohl die weißen Kanadier numerisch in der Überzahl waren, hielt sich ihre Kultur nur noch in abgegrenzten Kantonen, die fast schon Reservate waren. Der muslimische Bevölkerungsanteil lag zwar unter vierzig Prozent, aber die Scharia war jetzt das bestimmende Gesetz in Kanada, und die meisten Weißen – englischsprachige wie französischsprachige – hatten sich mit ihrer Rolle als Dhimmis abgefunden. In weniger als achtzehn Monaten hatten sie zwischen Kanada und den USA einen sechstausend Kilometer langen Grenzzaun errichtet, um US-amerikanische Flüchtlinge auszusperren.
    Wo auch immer das Kalifatregime in Berührung mit den ehemals verhätschelten »ersten Nationen« kam – Indianern und Eskimos, die Ende des zwanzigsten und zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts mit geradezu verschwenderischer politischer Korrektheit behandelt worden waren –, wurden die nicht konversionswilligen Ureinwohner von den neuen Herrschern ausgerottet. Die meisten von ihnen verhungerten, weil einfach ihre Lebensmittellieferungen eingestellt wurden. Die sogenannten ersten Nationen hatten längst die alten Fähigkeit verloren, sich durch Jagen und Fischen zu ernähren.
    Nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch der USA und dem Verlust ihrer Stellung als ernst zu nehmender Handelspartner und als Weltmacht, aber vor allem nach dem Angriff, den Teheran als
al-Qiyamah bezeichnete hatte (das Gottesgericht, das Israel von der Landkarte gefegt hatte), und dem Siegeszug des Islam durch Westeuropa innerhalb eines Jahrzehnts hatte sich Kanada an das Kalifat gewandt, um Handel zu treiben und militärischen Schutz zu finden. Das Land hatte keine andere Wahl gehabt. Genauso wenig wie bei der starken islamischen Einwanderung, die die kanadischen Gesetze und die Kultur für immer verändert hatten.
    Und jetzt hatte Nuevo Mexico keine andere Wahl, als die zurückeroberten Gebiete zu verkaufen. Aber an wen?
    Nick schaltete die Außenmonitore auf sein Telefon. Zu beiden Seiten des M-ATV glitt der mittlere Norden von New Mexico vorbei – abgegraste Weiden ohne Vieh, leere Ranches, verlassene Ortschaften und Eisenbahnlinien, öde Highways. Abgesehen von den Schäden durch hundert Jahre Über weidung und den eher geringen Zerstörungen durch moderne mechanisierte Armeen war das Gebiet fast so unberührt, wie es die ersten weißen Forschungsreisenden vor über zwei Jahrhunderten angetroffen hatten.
    Gut möglich, dass sich das Weltkalifat diesen südlichen Teil Nordamerikas einverleiben wollte, auch wenn es dafür einen moderaten Kaufpreis bezahlen musste. Es war der ideale Siedlungsraum für ein ehemaliges Wüstenvolk. Und wenn die obere Spitze der islamischen Sichel gegen die Grenze zwischen Kanada und den USA im Norden drängte und jetzt die untere Spitze von Mexiko aus gegen die klammen und militärisch schwachen westlichen Bundesstaaten wie Colorado vorstieß, wie lang konnte es da noch dauern, bis sie sich trafen?
    Damit stand Nick vor einer entscheidenden Frage.
    Geht mich das was an? Interessiert es mich auch nur einen Furz, wenn dieser Teil des Landes an die Dschihadisten fällt? Er gehört doch nicht mal mehr zu den Vereinigten Staaten. Gibt es irgendeinen Grund auf der Welt, warum es mir was ausmachen sollte, wenn die Handtuchköpfe
des Kalifats die Bohnenfresser aus Nuevo Mexico als unsere unerfreulichen Nachbarn im Süden ablösen? Oder wenn sie als unsere neuen Herren in Colorado die blöden Japsen verdrängen, die oben vom Berg auf uns runterschauen? Bei den

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