Flashback
verwob, ohne dass der Verstand ordnend eingriff.
Zwischen den kleinen Parkflächen unten stand noch immer die Stadtbibliothek, die ein postmoderner Stararchitekt in den Neunzigern hochgezogen hatte. Die Putzigkeit des runden Turms, der irgendwie einem dicken Bleistift ähnelte, hatte sich schon vor Ende des vergangenen Jahrhunderts erschöpft. Hinter der Bibliothek erstreckte sich der Hauptteil des Kunstmuseums mit seinem »modernen«, aber inzwischen auch schon sechzig Jahre alten Look, der ihm das Aussehen einer befestigten Burg verlieh. Die winzigen Fenster hatten merkwürdige Formen und waren scheinbar wahllos über die Fassade verstreut.
Nick erinnerte sich, wie ihn seine kunstliebende Mutter als Kind in das Museum geführt und ihm dort die ungewöhnlichen Fenster erklärt hatte. »Der Mann, der das Gebäude Anfang der siebziger Jahre entworfen hat, hat die Fenster so gestaltet und verteilt, dass sie schöne Aussichten auf die Berge und Hügel umrahmen, als wären sie Bilder an der Wand. Schlau, findest du nicht? Aber leider hat sich der Architekt nicht überlegt, dass später andere Häuser gebaut werden, die diese Aussichten verdecken, bis man gar nicht mehr versteht, wozu diese Rahmenfenster überhaupt da sind.«
Leonard hatte Nick einmal nach einigen Drinks von einem akademischen Mentor erzählt, der diese unausweichlichen Entwicklungen als »das eherne Gesetz der unbeabsichtigten Folgen« bezeichnet hatte. Als ob ein Universitätsprofessor einem Polizisten etwas über die Tyrannei ungewollter Konsequenzen erklären müsste!
Gegenüber dem modernen Kunsttempel befand sich die postmoderne Erweiterung des Museums. Nick erinnerte sich sogar noch an den Namen des Architekten: Daniel Libeskind. Der Titan-Glas-Bau bestand nur aus Schrägen, Kanten und Spitzen und sah aus wie ein zerborstener Kronleuchter oder Christbaumstern.
Er war im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts mit viel selbstgefälligem Trara errichtet worden. So hieß es zum Beispiel, dass Denver damit in die Spitze der amerikanischen Architekturstädte zurückkehrte – was in den dunklen Jahrzehnten nach dem Tag, an dem alles den Bach runterging, weiß Gott niemanden mehr interessierte. Allerdings ließ der Freudentaumel ein wenig nach, als die Stadt feststellte, dass das Innere eines zerbrochenen Christbaumschmucks denkbar ungeeignet war für die Präsentation von Kunstwerken und dass durch sämtliche Schrägen, Kanten und Spitzen Wasser einsickerte.
Moment mal, da war doch gerade ein Gedanke dabei, der mir vielleicht weiterhelfen könnte. Aber was?
Er spulte die letzten freien Assoziationen zurück wie ein altes Tonband, bis er auf das Gesuchte stieß.
Die kleinen Fenster hatten als Rahmen ausgedient, weil inzwischen neue Gebäude errichtet worden waren und die Aussichten verdeckten.
Auch er selbst arbeitete noch immer mit nutzlosen, längst überholten Bilderrahmen, um den Fall zu lösen. Etwas, worüber er in der letzten Woche gestolpert war – etwas Neues, das die alte Aussicht verstellte –, enthielt die Antwort. Es war da. Er konnte es nur noch nicht erkennen.
Nick warf den Gelding an und prüfte die smileygesichtige Anzeige, um sich zu vergewissern, dass die vierrädrige Go-Mo-Maschine tatsächlich angesprungen war. Obwohl er nur kurz gefahren war, reichte die Batterie angeblich bloß noch für einunddreißig Kilometer. Vorsichtig ließ er die Scheißkarre in westlicher Richtung den Hügel hinabrollen.
Auf dem Parkplatz von Six Flags Over the Jews stand höchstens ein Dutzend Fahrzeuge. Natürlich war es lächerlich, sich schon jetzt nach dem Fluchtwagen umzuschauen. K. T. hätte einen Teleporter
wie in Raumschiff Enterprise gebraucht, um den Camaro rechtzeitig vom Abschlepphof herüberzubeamen. Erwartungsgemäß parkte auf der Südseite kein Fahrzeug verkehrt herum.
Er fand Danny Oz in einem fast leeren Kantinenzelt unter dem rostenden Tower of Doom. Der Dichter rauchte eine normale Zigarette – kein Cannabis – und trank Kaffee. Der Besuch so früh am Morgen schien ihn nicht weiter zu überraschen.
»Kaffee, Mr. Bottom?« Oz deutete auf eine große Maschine auf dem Tresen. »Schmeckt furchtbar, ist aber stark.«
»Nein danke.«
»Ihnen sind weitere Fragen eingefallen.« Oz hatte in ein kleines, leeres Notizbuch geschrieben, das er jetzt beiseitelegte.
»Eigentlich nicht«, antwortete Nick. »Zumindest nicht offiziell im Rahmen der Ermittlungen. Die sind vorbei.«
»Ach, haben Sie den Mörder von Keigo Nakamura
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