Flashback
drückte es sich über Mund und Nase. Sonst hätte er sich vielleicht übergeben.
»Wissen Sie, wo wir hier sind, Bottom-san?« Sato trat neben Nick an den Rand eines stinkenden Abgrunds.
Nick nickte. Er wollte nicht reden, damit ihm der infernalische Geruch nicht in den Mund drang.
Sie waren in der Mülldeponie 9 der Gemeinde Denver.
»Waren Sie schon mal hier, Bottom-san?«
Nick schüttelte den Kopf. Er begriff nicht, wie Sato es aushielt, zu sprechen und diese Luft einzuatmen. Nick hatte früher viele forensische Fotos und Filme von diesem Ort gesehen, ihn aber nie persönlich besuchen müssen.
Ursprünglich war die Deponie eine tiefe Schlucht gewesen, die ungefähr eineinhalb Kilometer lang von Norden nach Süden verlief. Sie war verbreitert und mit ebenen Seitenwällen aufgeschüttet worden, die von der nächsten Landstraße über grobe Schotterwege erreicht werden konnten. Auf der Westseite war der übliche Müll
aus dem zwanzigsten Jahrhundert abgelagert – zahllose verrottende Abfallsäcke, kaputte Möbel, haufenweise alte Kleider und verfaulendes organisches Material. Davon gab es hier auf der Nordwestseite reichlich, aber vom Rand des Abgrunds bis hinunter zum Grund waren auch viele hundert menschliche Leichen zu erkennen. Manche waren in Tücher oder Plastikplanen gehüllt, doch die meisten lagen ungeschützt in der heißen Septembersonne. Beim Anflug des Libellenhelikopters waren ganze Schwärme von Möwen und Krähen von ihren Futterstellen aufgeflogen, die jetzt gemächlich zu ihrem Festmahl zurückkehrten. Ein Bereich schien für die Truthahngeier reserviert zu sein, die oben in den Luftströmungen kreisten wie Geschwader in Formation und nur darauf warteten, sich ihrerseits an den menschlichen Überresten zu weiden. Viele Leichen am Grund der Schlucht waren längst zu weiß schimmernden, geschlechtslosen Skeletten geworden, an denen nur noch einzelne undefinierbare Fetzen hingen. Aber die meisten waren aufgequollene, kaum als Menschen zu erkennende Haufen, durch die nur hin und wieder bleiches Gebein blitzte.
Nick bemerkte, dass viele dieser mittelalten Leichen an den Hängen zu zucken und zu beben schienen: eine optische Täuschung, die auf die Bewegung von Millionen Maden zurückzuführen war. Diese Toten wurden sogar von den Möwen verschmäht.
Nach dem ersten Drittel dieses glorreichen Jahrhunderts hatte jede amerikanische Großstadt so eine Mülldeponie eingerichtet. Um eine angemessene Hygiene aufrechtzuerhalten, blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als die zahllosen Reconquistakämpfer, Cinco-de-Mayo-Milizionäre, Aryan-Brotherhood-Mitglieder, Dschihadisten, Bürgerwehrleute, Motorradgangster und manchmal sogar Polizisten auf diese Weise zu entsorgen.
Sato berührte Nicks linken Arm und schob ihn näher an den Rand.
Sie hatten ihn nicht entwaffnet, und Nick hatte die rechte Hand
schon erhoben. Sollten Okada, Ishii oder Ōta auf ihn anlegen, wollte sich Nick vor Sato werfen, ihn packen und ihm mit der Glock in Bauch, Brust und Gesicht schießen, während er sich geschützt durch den massigen Körper des Sicherheitschefs den Leichenberg hinunterrollen ließ. Von dort konnte er auf die drei gepanzerten Ninjas mit ihren vollautomatischen M4-Karabinern feuern und notfalls auch noch auf seine nutzlose Taschenpistole zurückgreifen.
Während er sich schon für den Sprung anspannte, dachte er: Val und Leonard und K. T. werden nie erfahren, was mit mir passiert ist.
Nun, K. T. erfuhr es vielleicht. Das DPD durchsuchte die städtische Mülldeponie 9 ungefähr einmal monatlich nach interessanten Leichen. Dann konnte sie es seinem Sohn und Schwiegervater sagen, sofern die beiden nicht selbst schon bald hier landeten.
Aber das hielt Nick nicht für sehr wahrscheinlich.
Sato legte Nick die Hand auf die linke Schulter, und Nick schob die Hand auf den Griff der Glock unter seinem leichten Jackett. Die drei Ninjas drängten heran.
» Mukatsuku yō na-sō desu ka? «
Nick hatte keine Ahnung, was Satos Worte bedeuteten. Ein Abschied vielleicht. Oder ein Ultimatum. Aber es war ihm gleichgültig. Sein Zeigefinger glitt vor den Abzug. Alles, was jetzt kam, musste sich in Sekundenbruchteilen abspielen.
» Zehi , Bottom-san. Ikō-u .« Sato ließ die schwere Hand von Nicks Schulter gleiten, wandte sich ab und stapfte zurück zur Libelle. Bevor er selbst wieder hinter den vier Japanern an Bord kletterte, bemerkte Nick, dass Pilot und Kopilot Sauerstoffmasken trugen, um dem ätzenden Gestank zu
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