Flashback

einer hat durch den Dunst geschienen. Später hab ich rausgefunden, dass es der Sirius war. Dann haben wir auch noch den Jupiter entdeckt. Die Nacht war ziemlich hell.«

    »In den Neunzigern«, haucht Dara. »Wer hätte gedacht, dass die damals schon moderne Sachen wie Teleskope hatten?«
    »Du bist doch nur neidisch.« Nicks Antwort ist ein oft wiederholter Scherz zwischen ihnen. Dara ist acht Jahre jünger, geboren Mitte der neunziger Jahre. Nick erinnert sie gern neckend an die tollen Zeiten, die sie verpasst hat. »Meinst du Ronald Reagans Schwanengesang? Oder Bill Clintons Oralentgleisung?«, fragt sie dann unschuldig zurück. Doch manchmal finden sie es beide seltsam, dass er in ihrem Geburtsjahr schon mit einem Teleskop hinauf zum nächtlichen Sternenhimmel geschaut hat.
    »Ich liebe die Geschichte von Onkel Wally und dem Teleskop.« Wie eine Katze reibt Dara die Stirn an seiner Schulter. Nick befürchtet, dass sie wieder Kopfschmerzen hat.
    »Und ich liebe …«
    »Mich?«
    »Das Friday Night Creature Feature auf TCM.« Nick steht auf und zieht sie hoch. »Die Sendung fängt in drei Minuten an.«
    Lachend lehnt sie sich mit ihrem ganzen Gewicht an ihn, die Hand weich auf seiner linken Hüfte, wo sich normalerweise Halfter und Pistole befinden. Die Hubschrauber sind verschwunden, ihr Lärm verdrängt von fernen und weniger durchdringenden Sirenen und Klängen.
    Nick wirft die Bierdose in den Recyclingeimer neben der Tür und zieht sie mit beiden Armen fest an sich. Ihr Kopf reicht nicht einmal bis an sein Kinn. Nach den vielen tausend Umarmungen der letzten beiden Jahre fühlen sich ihre von der Schwangerschaft vollen Brüste seltsam an. Wieder einmal muss Nick daran denken, wie jung sie noch ist. Und was für ein Glückspilz er ist.
    »Tu mir einen Gefallen«, flüstert Dara.
    Schwebend spürte Nick, wie sich seine Frau an ihn drückte, und freute sich schon auf das Kommende. Doch zugleich achtete er auf die umgebenden Geräusche und Bewegungen, die er in dieser
Nacht vor sechzehn Jahren und einem Monat nicht bewusst wahrgenommen hatte. Die plötzliche Bö, die die hohen Äste der kümmerlichen Zwergulmen bewegte, die nur darauf warteten, in ein oder zwei Monaten ihre zahllosen Blätter abzuwerfen. Der Fernseher der Bakers, der zwei Häuser weiter wieder einmal viel zu laut plärrte. Die Katze, die wie eine vierbeinige Drahtseiltänzerin über den hohen Zaun zur hinteren Gasse huschte …
    »Ich möchte, dass du …«
    »Aufstehen, Bottom-san. Sofort. Aufwachen, verdammt.«
    Auf einmal hält Dara Nick nicht mehr umschlungen, sondern hebt ihn hoch und schüttelt ihn heftig. Nick spürt, wie er gegen ihren dicken Bauch prallt.
    Eine Nadel wurde in seinen Schenkel gerammt.
    »Hey, pass doch auf, Kiddo!« Erschrocken löste sich Nick von Dara.
    Dara hob ihn noch höher und schüttelte ihn fester. Nein!
    Nick tastete nach seiner Pistole. Sie war nicht da.
    Jemand riss ihm den Tropfschlauch vom Arm. Wieder wurde ihm eine Nadel in den Oberschenkel gejagt. Wie Eiswasser spürte Nick den Schock des Antiflashmittels T4B2T in den Adern und schrie.
    »Mickey! Lawrence!«
    Keine Spur von Mickey in dem schummrigen Schein der Leuchtstäbe. Der massige Rausschmeißer Lawrence in seiner Panzerweste lag bewusstlos mit dem Gesicht nach unten im Gang zwischen den Pritschen.
    Dara an ihn geschmiegt in der Sommernacht …
    Nick kämpfte, um zurück in die Flashbackrealität zu finden, aber die Schmerzen in Arm und Schenkel und das T4B2T rissen ihn von ihr weg. Wieder schrie er auf.
    »Klappe.« Sato trug ihn auf der Schulter durch die abgedunkelte Lagerhalle. So mühelos, wie Nick seinen Sohn Val als kleinen Knirps ins Bett gebracht hatte. Einige Flasher schraken hoch und
verzogen böse das Gesicht – Flashhöhlen waren schließlich dazu da, dass man nicht gestört wurde –, doch die meisten schliefen zuckend weiter, ohne etwas zu bemerken.
    Wo war Mickey? Hielten er und der Rausschmeißer für solche Überfälle nicht eine Schrotflinte bereit?
    Nicks Arme und Beine kribbelten schmerzhaft vom T4B2T, als wären sie stundenlang eingeschlafen gewesen. Nick hatte keine Macht über sie, er konnte weder treten noch eine Faust machen.
    Die Luft war kühl, und es nieselte leicht. Nick stellte fest, dass es bereits dunkel war. Am regennassen Bordstein der Seitengasse, in die Sato ihn schleppte, parkten Autos. War es noch dieselbe Nacht? Wie lang war er auf Flash gewesen?
    Piepend öffnete Sato die Beifahrertür eines alten Elektrohonda