Flashback
der auch an hellen Tagen trübes Halbdunkel herrschte. Den Nordeingang des Straflagers bildete eine mit Betonschwellen und schwarzen Türen begrenzte Kloake, die so groß war, dass sie von zwei Lastwagen in entgegengesetzten Richtungen passiert werden konnte.
An diesem Morgen drang kein Lichtstrahl in das fünfzig Meter hohe Bauwerk.
Nein, das stimmte nicht ganz; über dem ovalen Eingang zum DHSDC befand sich ein riesiger blauer Dämonenhengst, von dessen Bauch rote Adern abstachen, dessen Hufe aus rasiermesserscharfem Stahl waren und dessen teuflische Augen zwei Laserstrahlen aus der verzerrten Pferdefratze abfeuerten. Die Strahlen durchschnitten den wabernden Nebel – oder vielleicht auch tief schwebende Wolkenfetzen – und peitschten durch die Luft, bis sie auf den Honda und dann auf Nick Bottom trafen und erstarrten.
»Erzählen Sie mir alles, was Sie über das Pferd wissen, Bottom-san«, forderte ihn Sato auf.
Das Pferd? Nicks Gedanken jagten hin und her wie gefangene Ratten. Wen interessiert das blöde Pferd? Er klirrte mit der kurzen Handschellenkette über der Türrahmenstrebe.
Doch dann hörte Nick, wie seine Stimme in stumpfem Ton antwortete.
»Ursprünglich war das Stadionpferd Bucky the Bronco. Bucky war neun Meter hoch und nach einem Modell von Roy Rogers’ Pferd Trigger gegossen. Roy Rogers war Mitte des letzten Jahrhunderts ein Fernseh- und Kinocowboy. Roys Modell von dem sich aufbäumenden Trigger war viel älter, und er hat die Anfertigung einer größeren Kopie für das Stadion nur unter der Bedingung erlaubt, dass die Stadt und die Stadionbesitzer das neue Pferd nicht Trigger nennen. Die Leute haben abgestimmt, ich glaube in den Siebzigern, und dem größeren Trigger den Namen Bucky the Bronco gegeben.«
Wieso erzähle ich Sato diesen Müll? Mir war nicht mal klar, dass ich diesen ganzen Quatsch in meinem Kopf abgespeichert habe. Nick presste die Kiefer aufeinander, um den Erguss von Trivialwissen zu stoppen, doch er musste feststellen, dass er buchstäblich nicht den Mund halten konnte.
»Aber das da ist nicht Bucky the Bronco.« Angestrengt deutete
Nick mit der gefesselten linken Hand auf den blauen Dämonenhengst über dem Eingang zum Straflager. »Dieses wahnsinnige blaue Pferd war eine Skulptur, die ein Bildhauer aus New Mexico namens Luis Jimenez – eigentlich war er gar kein richtiger Künstler, sondern hat meistens nur Fiberglasfahrgestelle für tiefergelegte Autos gebaut – vor ungefähr dreißig Jahren im Auftrag der Stadt für den Denver International Airport angefertigt hat. Jimenez hat bloß deshalb den Zuschlag bekommen, weil die für Flughafenkunst zurückgelegten Millionen zu einer einzigen Wundertüte für Minderheiten geworden waren – Latinos, Schwarze, Inder und so weiter. Alle bis auf die Ostasiaten. Die waren anscheinend nicht geeignet. Zu schlau. Jedenfalls, der Bürgermeister damals war ein Schwarzer, und seine Frau hat den Ausschuss geleitet, der die Kunstaufträge vergeben hat. Entscheidend war dabei nur, dass die Gewinner zu einer Minderheit gehörten. Ob sie Künstler oder gar gute Künstler waren, war Nebensache.«
Nick wandte das Gesicht von Sato ab und knallte die Stirn ans Beifahrerfenster. Die roten Laserflecken folgten seiner Bewegung und blieben auf Unterarmen und Brust haften.
»Bitte fahren Sie fort, Bottom-san. Erzählen Sie mir alles, was Sie über dieses Pferd wissen.«
Nick presste die Unterarme auf die Ohren, um seine eigene Stimme auszusperren, doch natürlich hörte er sich über den Knochenschall.
»Dieser blaue Hengst ist elf Meter hoch, größer als der ursprüngliche Bucky the Bronco. In dem kleinen Heimatort des Künstlers glaubten die Einwohner, dass das Pferd verhext ist. Noch bevor es fertig war, ist es im Atelier auf den Künstler gestürzt, der an den Verletzungen gestorben ist. 2008 wurde es am Flughafen aufgestellt, und laut Vertrag musste es mindestens zehn Jahre dortbleiben. Doch sobald die Frist um war, hat die Stadt die Skulptur entfernen lassen. Sie hat die Leute erschreckt, die zum ersten Mal nach
Denver kamen, und die Einheimischen haben sie sowieso gehasst. Als der Heimatschutz vor zwölf Jahren im Mile High eingezogen ist, hat er Bucky the Bronco gegen diesen wahnsinnigen, verhexten Hengst ausgetauscht und ihn hier am Eingang angebracht. Die Laser haben eine Sicherheitsfunktion. Und sie werden mich blind machen, wenn mich einer von diesen verdammten Strahlen an der Netzhaut erwischt.«
»Ist das alles, was Sie
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