Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)
Umschlag, den ich ihr, nachdem ich das andere Tuch wieder abgenommen hatte, um Hand und Handgelenk wickelte.
»Das tut weh«, sagte Miss Tanty und schaute mich mit ihren großen Mondaugen an. Ihre Brille lag zertreten und zersplittert auf dem Fußboden.
»Künstlerpech«, erwiderte ich.
28
I ch rannte aus Miss Tantys Haus, als wären mir sämtliche Höllenhunde auf den Fersen, und vielleicht war das ja auch der Fall.
Um die Ecke und auf die Hauptstraße sauste ich und hämmerte an die Tür von Wachtmeister Linnets Cottage, das auch als Polizeiwache von Bishop’s Lacey diente.
Nach verblüffend kurzer Zeit stand der ungekämmte Wachtmeister in der Tür. Mit gerunzelter Stirn, die Augenbrauen zu zwei fragenden »V« nach oben gezogen, streifte er seine blaue Uniformjacke über.
»Bei Miss Tanty!«, rief ich. »Schnell! Ein Mordversuch!« Ich ließ den verdutzten Wachtmeister auf seiner Schwelle stehen und rannte in die entgegengesetzte Richtung zu Dr. Darbys Praxis.
Ob Miss Tanty noch in ihrer Küche sitzen würde, wenn die Polizei eintraf? Vermutlich schon. Erstens stand die Frau unter Schock, zweitens war sie von Natur aus nicht zum Wegrennen gebaut. Drittens konnte sie sich, bei näherer Überlegung, nirgendwo verstecken. Dafür war Bishop’s Lacey einfach nicht groß genug.
Ich hatte Glück. Als ich an der Praxis ankam, war Dr. Darby schon draußen vor der Tür und gerade dabei, mit Schwamm und Wassereimer von seinem stupsnasigen Morris den Dreck und Staub abzuwaschen, die eine Landarztpraxis nun einmal mit sich bringt.
»Miss Tanty hat sich die Hand verbrannt!«, stieß ich atemlos hervor. »Eine Ätherexplosion! Ich habe schon kalten Äther und einen Kartoffelwickel draufgetan.«
Dr. Darby nickte bedächtig, als passierte so etwas jeden Morgen vor dem Frühstück. Als er in die Praxis ging, um seine Tasche zu holen, rannte ich weiter.
Wenn ich mich beeilte, konnte ich vor ihm wieder am Ort des Geschehens sein. Dachte ich jedenfalls.
Aber sein Morris überholte mich noch vor der Cow Lane.
Wachtmeister Linnet holte ich an Miss Tantys Gartentor ein.
»Du bleibst hier!«, bremste er mich mit amtlich erhobener Hand aus. »Hier draußen«, setzte er hinzu, als wollte er jedes Missverständnis ausschließen.
»Aber …«
»Kein Aber. Das Haus ist jetzt ein Tatort. Wir haben unsere Vorschriften.«
Was sollte das denn heißen, bitte schön? Hatte mir Inspektor Hewitt etwa ausdrücklich den Zutritt verboten?
Nach allem, was ich für ihn getan hatte?
Aber ehe ich nachhaken konnte, war Wachtmeister Linnet bereits im Haus verschwunden.
Im nächsten Augenblick fing Miss Tanty wieder an zu schreien.
Als ich um die Ecke der Friedhofsmauer bog, kamen mir auf der Straße Vater, Feely und Daffy entgegen.
Von der Hitze der Ätherexplosion brannte mein Gesicht wie nach einer Bestrahlung – immerhin wusste ich jetzt endlich aus eigener Anschauung, wie sich Madame Curie gefühlt haben musste.
Mein Rock und mein Pullover waren hinüber, meine Haarbänder nur noch verkokelte Schnüre.
»Sieh dich bloß an!«, sagte Feely. »Wo warst du denn? So kannst du auf keinen Fall in die Kirche gehen, stimmt’s, Vater?«
Vater schaute zwar in meine Richtung, aber ich wusste, dass er mich eigentlich nicht sah.
»Flavia« war alles, was er sagte, ehe er sich geistesabwesend abwandte und den Blick auf einen Punkt an einem fernen, privaten Horizont richtete.
»Ich dachte, du bist krank«, sagte Daffy.
Daffy war immer diejenige, die die verfänglichen Einzelheiten ans Tageslicht zerrte.
»Es geht mir schon viel besser.« Mir fiel plötzlich ein, dass ich immer noch die Rußstreifen von dem Korken um die Augen hatte.
»Guten Morgen allerseits«, sagte da jemand hinter mir. Es war Adam Sowerby. Ich hatte seinen lautlosen Rolls-Royce nicht kommen gehört.
»Was ist denn mit dir passiert?«, fragte er. »Hast du ein bisschen zu viel Sonne abgekriegt?«
Ich nickte. Ich hätte den Mann am liebsten umarmt.
»Ich war gerade in der Praxis von Dr. Darby«, sagte ich, was schließlich nicht gelogen war. »Er meinte, es ist nicht schlimm.« Das war allerdings gelogen.
»Hmmm«, machte Adam. »Ich bin leider kein Arzt, aber ich habe von meinen Reisen auf dem Limpopo und so weiter immer noch den einen oder anderen Trick im Ärmel. Wenn du nichts dagegen hast, Haviland«, sagte er in Vaters Richtung, »dann würde ich …«
Vater nickte flüchtig, als hätte er eigentlich nicht richtig zugehört, sondern müsste eher aufpassen,
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