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Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)

Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)

Titel: Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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der anderen.
    Ich schlug mit gespreizten Fingern zu und fegte ihr die Brille von der Nase.
    Das half zwar nicht viel, aber doch ein bisschen. Ich konnte den Kopf zur Seite drehen und bekam frische Luft. Ich tat rasch einen tiefen Atemzug, dann noch einen – und noch einen.
    Ohne ihre dicke Brille spähte Miss Tanty kurzsichtig in ihrer Küche umher. Ihre irren Augen sahen auf einmal müde und wässrig aus.
    Ich kämpfte mich aus dem Stuhl und duckte mich nach links weg, aber sie versperrte mir wie ein Rugby-Spieler mit den Hüften den Weg.
    Ich versuchte es rechts herum, aber da war sie auch.
    Obwohl ich für sie nur ein verschwommener Fleck sein konnte, gelang es ihr, jeden meiner Fluchtversuche abzublocken.
    Ich saß in der Falle.
    Schon hatte sie wieder den Arm um meinen Hals geschlungen, noch fester als vorher.
    In meiner Verzweiflung sah ich nur noch eine Möglichkeit.
    Ich griff nach der Streichholzschachtel, bekam sie irgendwie auf, und die Hölzchen ergossen sich auf den Tisch.
    Als Miss Tantys Pranke wieder mit dem Taschentuch auf mich zukam, riss ich ein Streichholz auf dem hölzernen Brotbrett an und hielt es blindlings hinter mich.
    Es erlosch.
    Ich hatte mich zu schnell bewegt.
    Ich schnappte mir das nächste, riss es an und führte den Arm mit abgewinkeltem Ellbogen langsam, quälend langsam nach hinten, auf Miss Tanty zu.
    Erst geschah gar nichts – dann machte es Wuff!, als hätte sich ein ungewöhnlich großer Bernhardiner zu Wort gemeldet.
    Eine gewaltige Feuerkugel stieg wie ein orangefarbener Heißluftballon an die niedrige Decke und kroch dann in Wellen aus schwarzem, schmierigem Rauch an den Wänden herunter, um dann noch einmal in einer dichten, erstickenden Wolke um unsere Füße aufzubrodeln.
    Miss Tanty erstarrte zur Statue, hielt mit einer Hand eine lodernde Fackel über den Kopf wie Demeter, die in der Unterwelt nach ihrer verlorenen Tochter Persephone sucht.
    Dann fing sie an zu schreien.
    Und hörte nicht mehr auf.
    Sie ließ das brennende Taschentuch fallen und stolperte blindlings von einer Wand zur anderen, wobei sie zu husten anfing.
    Husten … schreien … husten … schreien.
    Es war nervenzerfetzend.
    Sie trudelte wie ein Kreisel kreuz und quer durch die Küche, stieg wie eine monströse, durchgedrehte Schmeißfliege gegen die Möbel, prallte von einer qualmenden Wand gegen die nächste.
    Jetzt musste ich auch husten. Mein Gesicht fühlte sich an, als wäre ich am Strand eingeschlafen und hätte stundenlang in der Augustsonne gelegen.
    Ich trat das brennende Taschentuch aus.
    Miss Tanty schrie unbeirrt weiter.
    »Aufhören!«, rief ich und stieß das Fenster auf, aber sie hörte nicht auf mich, sondern taumelte weiter durchs Zimmer und hielt dabei das Gelenk der einen Hand mit der anderen umklammert.
    »Hören Sie auf!«, sagte ich noch einmal. »Lassen Sie mich mal sehen.«
    Ich hatte schon einen Blick auf ihre Hand geworfen. Sie war verbrannt.
    »Hören Sie endlich auf«, sagte ich zum dritten Mal, aber sie schrie weiter. »Aufhören!«
    Ich gab ihr eine Ohrfeige.
    Eigentlich halte ich mich für einen ziemlich netten Menschen, aber vielleicht stimmt das überhaupt nicht, denn es bereitete mir ein unerwartet großes Vergnügen, ihr eine zu kleben. Aber nicht, weil sie mich eben noch hatte umbringen wollen, auch nicht, weil Rache süß ist – sondern weil es unter den gegebenen Umständen ganz einfach das einzig Richtige war.
    Sie verstummte sofort und starrte mich an, als hätte sie mich noch nie gesehen.
    »Hinsetzen!«, befahl ich, und wundersamerweise gehorchte sie widerspruchslos. »Geben Sie mir Ihre Hand.«
    Sie streckte mir die gerötete Faust hin und starrte darauf, als gehörte sie einem Fremden – irgendjemandem, bloß nicht ihr.
    Ich wühlte mindestens fünf Schubladen durch, bis ich ein Küchenhandtuch fand, das ich ihr ums Handgelenk wickelte. Dann griff ich nach der Ätherflasche, die sie auf das Abtropfbrett gestellt hatte.
    Ich zog den Stöpsel heraus und goss einen Schuss Äther auf das Tuch. Sie beobachtete mich mit einem Ausdruck benommener Bewunderung, dann machte sich so etwas wie nüchterne Erleichterung auf ihrem Gesicht breit.
    Ich riss die Schränke unter der Spüle auf und fand schließlich in einem schwenkbaren Regalfach das, wonach ich suchte: eine Kartoffel.
    Ich schälte eine Hälfte und schnitt sie dann in so dünne Scheiben, dass man die Bibel hätte hindurch lesen können. Aus den Scheiben und einem Geschirrhandtuch machte ich einen nassen

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