Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)
hatte es nie geklappt.
Stattdessen war ich knöcheltief ins Fettnäpfchen getreten, als ich sie gefragt hatte, ob sie sich mit dem Gehalt des Inspektors keine Kinder leisten konnten. So liebenswürdig sie auch reagiert hatte, ich hatte genau gespürt, dass ich sie verletzt hatte.
Obwohl ich mich nur ungern entschuldigte, hatte ich mir alle Mühe gegeben, aber ihre toten Babys hatten mich noch wochenlang im Traum verfolgt.
Wie sie wohl ausgesehen hatten? Hatten sie dunkles Haar gehabt wie Antigone oder helles, welliges wie der Inspektor? Waren es Jungen oder Mädchen gewesen? Hatten sie gelächelt und mit den Beinchen gestrampelt, wenn Antigone mit ihnen geschmust hatte? Welche Kosenamen hatte sie ihnen ins Ohr geflüstert und auf welche offiziellen Namen waren sie getauft worden, bevor sie beerdigt wurden?
Ich kam zu dem Schluss, dass Mutterschaft ein schweres Geschäft sein konnte, dessen Bürde man obendrein mit niemandem richtig teilen konnte. Trotz ihrer sanften Erscheinung hatte die Frau des Inspektors eine verborgene Seite, die ich niemals kennenlernen würde.
Vielleicht war das ja bei allen Müttern so.
Ich dachte noch darüber nach, als ein schwarzer Hillman von der Hauptstraße auf den Weg zur Kirche einbog, der eigentlich für Automobile gesperrt war. Ich erkannte den Fahrer auf Anhieb. Es war Marmaduke Parr, der Sekretär des Bischofs.
Der Wagen war so blitzsauber, dass sich Mr. Parrs Hinterkopf mit der dichten weißen Mähne in dem polierten Lack spiegelte, als er ausstieg.
»Guten Morgen, Mr. Parr.« Instinktiv beschloss ich, ihn am Betreten der Kirche zu hindern. Der Vikar hatte auch so schon genug Scherereien. Da musste ihm nicht auch noch ein kleinkarierter Bürokrat aus der bischöflichen Verwaltung sein Wunder vermasseln.
Ein geschnitzter Heiliger, der blutige Tränen weinte, würde den chronischen Geldproblemen von St. Tankred ein für alle Mal ein Ende bereiten. Man würde nicht mehr, wie seit nunmehr fünfzig Jahren, für die Dachreparatur sammeln müssen, und vielleicht würden auch die ständigen Konzerte, Sommerfeste und Tombolas schon bald der Vergangenheit angehören.
» Hochwürden Parr«, wies er mich zurecht, statt meine Begrüßung zu erwidern. »Oder Pater Parr, wenn dir das lieber ist.«
Der Mann nahm den Mund eindeutig zu voll. Er war sich offenkundig nicht darüber im Klaren, dass wir de Luces praktisch schon seit der Auferstehung Jesu römisch-katholisch waren und von Kirchenglocken, Gesangbüchern und Kerzen nie genug bekommen konnten. Nur weil der Vikar einer von Vaters wenigen Freunden war, nahmen wir überhaupt an den anglikanischen Gottesdiensten in St. Tankred teil.
Marmaduke Parr machte ein ungeduldiges Gesicht, als konnte er es kaum erwarten, noch mehr Leute mit seiner Anwesenheit zu tyrannisieren. »Schönen Tag dann«, sagte er knapp und strebte mit langen Schritten der Kirchentür entgegen.
»Wenn ich Sie wäre, würde ich da nicht reingehen!«, rief ich ihm fröhlich nach. »Da drin ist nämlich ein Mord passiert. Die Kirche ist jetzt ein Tatort. Betreten verboten.«
Ich benutzte Sergeant Woolmers Formulierung, erwähnte allerdings mit keiner Silbe, dass das Verbot schon wieder aufgehoben war.
Parr machte kehrt. Sein Gesicht und seine Augen sahen blasser aus als je zuvor.
»Was soll das heißen?«
»Dass – in – der – Krypta – jemand – umgebracht – wurde.« Ich sprach extra langsam und deutlich.
»Und zwar wer?«
»Mr. Collicutt«, antwortete ich in bedeutungsvollem Flüs-terton. »Der Organist.«
»Collicutt? Ausgeschlossen! Der ist doch gerade erst …«
»Ja?« Ich wartete gespannt.
»Collicutt? Bist du sicher?«
»Todsicher. In ganz Bishop’s Lacey spricht man über nichts anderes.«
Das war zwar übertrieben, aber es schadet nie, wenn man dort, wo es angebracht ist, ein bisschen Angst verbreitet.
»Grundgütiger«, sagte Parr. »Hoffentlich nicht. Hoffentlich nicht.«
Na also. So kamen wir doch allmählich weiter.
»Kann ich Ihnen vielleicht irgendwie behilflich sein?«, fragte ich zuvorkommend. »Ich wollte mich eigentlich freiwillig zur Ausgrabung des heiligen Tankred melden, Knochen sortieren und so weiter, aber das hat sich jetzt ja wohl erledigt.«
»Allerdings!« Sein Gesicht wechselte jäh die Farbe, von Käseweiß zu Rote Bete. »Das wäre eine Entweihung! Wer den ewigen Schlaf des Gerechten schläft, darf nicht zum Amüsement irgendwelcher beschränkter Dörfler in seiner Grabesruhe gestört werden.«
Beschränkte
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