Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)
hä?« Sie kniff wie Popeye ein Auge zu.
»Eigentlich nicht.«
»Ist ja auch egal. Jedenfalls würd ich an deiner Stelle da wegbleiben. In Bogmore Hall geht’s nicht mit rechten Dingen zu, wenn du mich fragst.« Sie tippte sich an die Stirn.
»Sie meinen die Ridley-Smiths? Das Krokodil? Oder den Mann aus Glas?«
»Aus Glas, von wegen! Jetzt hör mir mal gut zu. Es gibt Dinge, die sind schlimmer als Glas und Krokodile. Bleib bloß dort weg!« Und dabei zeigte sie nach Südwesten.
»Alles klar«, sagte ich. »Vielen Dank. Mach ich.«
Als ich mich umdrehte und wieder in den Laden ging, folgte sie mir.
»Und wegen dem Huhn komme ich so schnell wie möglich wieder«, sagte ich über die Schulter.
Ich war schon draußen auf der Straße und hatte den Fuß auf Gladys’ Pedal gesetzt, da kam die Frau mit einer Kiste aus dem Laden gerannt. Durch die Latten sah ich, wie die braune Henne panisch den Hals nach allen Richtungen drehte und mit gelben Augen angstvoll in die ungewohnt weite Welt schaute.
»Sie heißt Esmeralda.« Die Frau band die Kiste flink auf Gladys’ Gepäckträger fest.
»Das Geld …«, setzte ich an.
Doch sie war schon wieder nach drinnen verschwunden und hatte die Tür hinter sich zugeschlagen.
Südlich von Nether-Wolsey ging es sanft bergab. Nach Westen führte eine weitere Straße zu einer steilen Anhöhe hinauf, die wie eine dunkle Augenbraue über dem Dorf brütete. Es hätte gut und gern eine alte Hügelfestung sein können.
In diese Richtung hatte die Frau gezeigt, als sie mich vor Bogmore Hall gewarnt hatte. Es konnte nicht mehr weit bis dorthin sein.
Also auf nach Westen!
Nach einer Weile ging die immer steiler ansteigende Straße in einen Schotterweg über. Sogar im ersten Gang schwankte Gladys bedenklich. Ich stieg ab und schob.
Es ging durch einen Hohlweg, der in eine flache Anhöhe mündete. Bei dem wuchtigen alten Kasten vor mir konnte es sich nur um Bogmore Hall handeln. Mit seinen kreuz und quer aufragenden spitzen Giebeln erinnerte das Gebäude an ein Bündel alter Lanzen, die achtlos mit den Spitzen nach oben in einen riesigen Schirmständer gerammt worden waren.
Vom Rest der Welt abgeschnitten, stand das Haus in einem Meer aus wild wucherndem Gras, aus dem bemooste Steinbrocken ragten, die einst Putten und Nymphen auf Urnen und Brunnen gewesen sein mochten. Ein dralles weißes Ärmchen reckte sich aus der Erde, als wollte sich ein totes Baby aus seinem Grab befreien.
Vorhanglose Fenster starrten mich mit leerem Blick an, und mich beschlich die ungute Vorstellung, dass ich nicht nur von den Glasscheiben beobachtet wurde. Als Türschwelle diente ein ausgetretener Steinquader. Das ganze Gebäude wirkte so, als hätte man in einem vergangenen Jahrhundert mit der Renovierung begonnen und dann einfach wieder aufgehört.
Ein sonderbarer Wohnsitz für einen Richter.
Ich lehnte Gladys an ein bröckelndes Steingeländer und zog an der rostigen Klingel. Es war zwar nichts zu hören, aber ich war mir sicher, dass es in den Tiefen des Hauses läutete.
Natürlich öffnete niemand.
Ich klingelte noch einmal … zweimal … dreimal.
Auch als ich das Ohr an die Tür legte, blieb es drinnen totenstill. Trotzdem blieb das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden.
Ich drehte dem Haus den Rücken zu und schlenderte lässig auf den ehemaligen Rasen des Vorgartens, von dem nur ein Haufen mit Unkraut überwachsener Erdklumpen übrig war. Mit der Hand über den Augen tat ich so, als ließe ich den Blick über die Landschaft wandern, denn von hier oben hatte man wirklich eine wunderschöne Aussicht.
Dann drehte ich mich blitzschnell um.
Ein weißes Gesicht wich von einem Fenster im ersten Stock zurück.
Ich betätigte abermals die Klingel, diesmal energischer. Wieder rührte sich nichts.
Ich drückte die Klinke herunter, aber die Tür war abgeschlossen.
Um von drinnen nicht gesehen zu werden, schob ich mich Schritt für Schritt mit dem Rücken zur Hauswand bis zur Küchentür auf der Rückseite des Gebäudes. »Da liegt immer ein Schlüssel unter der Matte«, hatte mir Mrs. Mullet schon oft gesagt.
Sie irrte sich. Der Schlüssel lag nicht unter der Matte, aber dafür unter einem angeschlagenen Blumentopf keinen Meter von der Tür weg.
Noch nie war ich so dankbar dafür gewesen, dass mir Dogger so viel über Türschlösser beigebracht hatte!
Es handelte sich nicht um den üblichen langen Haustürschlüssel mit großem Bart, sondern um einen modernen Sicherheitsschlüssel. Wer immer
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