Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)
Dörfler? Dem würde ich’s zeigen!
»Ich habe schon gehört, dass Sie die Sache abgesagt haben.«
»Der Bischof persönlich hat die Exhumierung abgesagt.« Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf, die nicht unbeträchtlich war – geradeso, als hätte er selbst eine Bischofsmütze auf dem Kopf und einen Bischofsstab in der Hand.
»Und nicht nur der Bischof«, setzte er noch eins drauf. »Der Justiziar des Bischofs ist ebenfalls strikt dagegen. Er hat den Dispens zurückgenommen und die Exhumierung verboten. Die Archäologen mussten wieder abziehen.«
»Verboten?«
» Strikt verboten!« Es klang so endgültig, als spräche er vom Jüngsten Gericht.
»Und wer ist der Justiziar des Bischofs?«
»Mr. Ridley-Smith, der Richter.«
Cassandra Cottlestones Vater war ebenfalls Richter gewesen. Kraft seines hohen Amtes hatte er erwirkt, dass seine selbstmörderische Tochter schließlich doch noch in geweihter Erde ruhen durfte.
»Von den Ridley-Smiths aus Bogmore Hall?«, vergewisserte ich mich.
Jeder in unserer Gegend kannte die Ridley-Smiths aus Bogmore Hall. Ihr Anwesen befand sich drüben in Nether-Wolsey. Die unzähligen Geschichten über die Familie hatte man sich einst hinter bemalten Fächern zugeraunt, inzwischen wurden sie bei Tee und Zigaretten in der ABC-Teestube durchgehechelt.
Feelys Freundin Sheila Foster beispielsweise hatte mal erzählt, Lionel Ridley-Smith sei davon überzeugt, dass er aus Glas bestünde. Und das Lieblingskrokodil seiner Schwester Anthea habe ein Zimmermädchen gefressen.
»Das war allerdings noch vor dem Ersten Weltkrieg, als Zimmermädchen dichter gesät waren als heutzutage«, hatte Sheila gemeint.
Und hatte nicht Miss Pickery, unsere Bibliothekarin, eine Schwester namens Hetty, die mit ihrem Mann in Nether-Wolsey wohnte?
Hetty hatte einen, wie sich Miss Pickerys Vorgängerin, Miss Mountjoy, ausgedrückt hatte, »tragischen Nähmaschinenunfall« erlitten. Und was hatte Miss Cool vom Süßwarenladen doch gleich über die geheimnisumwitterte, abwesende Hetty gesagt?
»… die Nähmaschine, die Nadel, der Finger, die Zwillinge, der launische Ehemann, der Alkohol, die Rechnungen …«, hatte sie meinen Informationsschatz ergänzt.
Das war jetzt zwar schon ein knappes Jahr her, aber womöglich suchte Hetty inzwischen dringender denn je einen Babysitter für ihre Zwillinge.
»Ganz recht«, bestätigte Marmaduke Parr überheblich. »Die Ridley-Smiths aus Bogmore Hall.«
Und schneller als man »Transsubstantiationsverleugner« sagen kann, flogen Gladys und ich bereits über den schmalen Asphaltstreifen, der nach Nether-Wolsey führte.
Ich war zum Äußersten entschlossen. Ich würde dafür sorgen – ob mit ehrlichen oder unehrlichen Mitteln –, dass der Richter seine Worte zurücknahm. »Strikt verboten« – also da hörte sich doch alles auf!
Südwestlich von Buckshaw kam man an eine Kreuzung. Links führte ein besserer Feldweg über Nether-Lacey nach Doddingsley, rechts ging es nach St. Elfrieda. Hinter St. Elfrieda, noch etwas weiter im Süden, lag Nether-Wolsey.
Schon beim Heranfahren fiel mir auf, dass es nicht eben das hübscheste Dorf von ganz England war. Eher im Gegenteil. Sogar die Bäume sahen irgendwie müde aus.
Das auffälligste Gebäude war eine alte, zwischen Reihenhäusern eingeklemmte Metzgerei, deren grau verwitterte Bretterwände wie hölzerne Vorhänge durchhingen und dem Ganzen die ungesunde Blässe von Untoten verliehen. In dem mit toten Fliegen dekorierten Schaufenster hing eine seltsame Ansammlung von Würsten, die zu Ringen und Schleifen zusammengebunden waren. Erst auf den dritten Blick erkannte ich, dass sie geschmackloserweise das Wort Wurst bildeten.
Als ich die Tür öffnete, bimmelte eine Glocke, dann senkte sich, abgesehen vom Summen einer einsamen Fliege im Schaufenster, wieder Stille über den Laden.
»Hallo?«, rief ich.
Die Fliege summte weiter.
Im hinteren Teil des schlauchförmigen Raumes lagen hinter einer langen Glastheke mehrere rohe Fleischstücke, eine gruselige Auslage in Rot, Weiß und Blau, bei deren Anblick sich mein Magen zusammenkrampfte.
Hinter der Theke klemmte in einem verschnörkelten schmiedeeisernen Gestell eine Rolle rosafarbenes Metzgerpapier. An der Decke hing ein kleiner Drahtkäfig, von dem eine dicke Schnur herabbaumelte.
Ganz hinten in der Ecke stand ein blutbefleckter Hackklotz, die offene Tür daneben führte anscheinend in den Hinterhof.
»Hallo?«, rief ich noch einmal.
Keine Antwort.
Ich
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